Die 6 Grundfehler der Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“

Von Anbeginn habe ich die Arbeit dieser Bundestags-Enquetekommission #eidg (twitter Hashtag) kritisch verfolgt (siehe Anhang unten). Nicht erst nach der Debatte des Zwischenberichts vom heutigen Tag haben sich viele Befürchtungen hinsichtlich der Arbeit dieser Kommission leider bestätigt.

6 Grundfehler sind zu beobachten:

  1. Diese Enquete war eine Antwort der Union auf den Achtungserfolg der Piraten bei der Bundestagswahl 2009. Man wollte in der Netzpolitik wenigstens optisch etwas aus der Defensive kommen. Es ging also von Anfang an um eine taktische Angelegenheit und nicht um Inhalte und schon gar nicht um ein ernsthaftes Bemühen der politisch Verantwortlichen, nach dem Zensursula-Desaster des Deutschen Bundestages der Netzpolitik einen Schub zu verleihen. Deutlich wurde dies schon an der Person des Vorsitzenden, Axel E. Fischer. Statt eines politischen Kalibers wurde ein Hinterbänkler benannt, der keinerlei Affinität zum Internet aufweist und mit seinen peinlichen Sprüchen die Arbeit der Enquete von Anfang an belastete und als Internet-Mem zum Gespött wurde (Axel E. Fscher fordert…). Dass die SPD zudem zunächst die Unverfrorenheit besaß, ihren als Zensursula-Verteidiger bekannt gewordenen politisch völlig verbrannten MdB Martin Dörmann als Stellvertreter zu benennen, machte die Sache nicht besser. Der Ruf der Enquete wurde so ohne Not allein durch personelle Fehlbesetzungen von Anfang an ruiniert.
  2. Die Enquete setzt sich vor allem seitens der Koalition in erster Linie aus neuen Abgeordneten ohne Verankerung in deren jeweiligen Fraktionen zusammen. Dies müsste kein Schaden sein, wenn irgendwo ein „Platzhirsch“ erkennbar wäre, der mit Gewicht das Bindeglied gerade zu den Regierungsfaktionen hätte sein können. Allein die Themen „Urheberrecht“ und „Netzneutralität“ beweisen, dass dies nicht der Fall ist. Wiederum war und ist es vor allem die Union, die sich keinen Deut um die Meinung ihrer Enquete- Abgeordneten kümmert. Ganz im  Gegenteil hatten gerade Unions- und FDP – Leute (so sie es überhaupt wollten)  keinerlei Chancen, in wesentlichen Punkten der Netzpolitik in Fraktionen oder gar gegen die Bundesregierung neue Akzente zu setzen.
  3. Die Enquete verzettelte sich von Anfang an in die Produktion von Papieren, die im wesentlichen lediglich Bestandsaufnahmen längst bekannter Diskussionen darstellten. Eine solche Arbeit übernehmen in der Regel aber nicht Abgeordneten oder Sachverständigen selbst, sondern externe Stellen, die mit einem Monitoring vorhandener Diskussionen beauftragt werden. Die Enquete versäumte es, sich hierfür auch nur einen Etat zu geben. Auch die Vergabe wissenschaftlicher Gutachten zur Unterstützung der eigenen Arbeit unterblieb.
  4. Solche amateuerhaften Fehler sind auch der Tatsache geschuldet, dass man sich wie Lemminge in die Arbeit und auf die Klippen stürzte, ohne auf positive wie negative Erfahrungen früherer Enqueten zurückzugreifen. Einzelne Mitglieder räumen dies heute zwar ein. Gewarnt waren sie aber alle. Der Absturz war vorprogrammiert.
  5. Die Propaganda von einer umfassenden „Bürgerbeteiligung“ entlarvte sich früh als Show. Der Bürger als 18. Sachverständiger war schlicht unerwünscht. Noch nicht einmal Mailanfragen wurden in der Regel beantwortet. Dies gilt für das völlig überforderte Sekretariat genauso wie für einen großen Teil der Abgeordneten und die Sachverständigen in der Enquete. Daran kann auch „Adhocracy“ nichts ändern. Dessen Einführung erfolgte erst in und nach dem bekannten peinlichem Gerangel. Auch hier wurde nicht zur Kenntnis genommen, dass Ältestenrat und Verwaltung bereis seit dem Jahre 2000 alle Bemühungen um eine verbesserte Bürgerbeteiligung (eDemokratie, eParlament) erfolgreich torpedieren.  Der Enquete wurde seitens des Bundestages weder finanzieller noch politischen Rückhalt für eine Änderung dieser Situation zugebilligt. Die Netzgemeinde wiederum durchschaute dies und reagierte verschnupft mit ignorierender Zurückhaltung. An DIESER Enquete wollte sich niemand wirklich beteiligen. Selbst Mitglieder des CCC hielten sich trotz seiner herausragenden Sachverständigen vornehm zurück und verließen sich weiter eher auf direkte Kontakte zu Parteien und Regierungsstellen denn auf die unverbindliche Enquete-Gesprächsrunde zu bauen.
  6. Die Enquete setzte und setzt keinerlei Akzente in aktuellen Debatten, sondern hoppelte diesen bestenfalls hinterher, sofern sie überhaupt Thema waren.  Als Beispiel mag aktuell das Thema „Freiheit und Internet“ gelten. Die Bundesregierung weigert sich peinlicherweise, den UN – Bericht zum Schutz der Meinungsfreiheit im Internet auch nur zur Kenntnis zu nehmen.  Bemühungen, dass wenigstens in dieser Angelegenheit einmal so etwas „Aufmüpfigkeit“ seitens der Enquetemitglieder an den Tag gelegt würde, sind nicht bekannt.

Fazit: Die Bilanz der Arbeit der Enquete ist so enttäuschend wie ernüchternd. Befragt man Mitglieder nach den Ergebnissen, hört man von dort als häufigstes Argument, wie gut es doch sei, dass man die Themen parteiübergreifend berede. Wie schön. Gut, dass wir geredet haben. Selbst dies erfolgt aber in einer derart grauenhaft ritualisierten und  langweiligen Form, dass selbst die Sitzung zum Zwischenbericht nicht einmal mehr live, sondern nur noch zeitversetzt ab 20.00 Uhr gestreamt wurde. Verständlich.

Nachtrag: Die Enquete hofft, dass es in deren 2. Halbzeit besser läuft. Schau‘n wir mal 🙂

Die Enquete auf tauss-gezwitscher:

März 2011: „Erfolgreiche Enquete“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=2084

Februar 2011: „Trauerspiel“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=1989

Januar 2011: „Nun wird ausgeschöpft“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=1870

Januar 2011: „Reisender, besuchst Du die Enquete…“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=1850

Juni 2010: „Zur Arbeit der Enquete“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=1061

April 2010 „Axel wer?“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=234

März 2010 „Kleines Who is Who zur Internet-Enquete“

https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=609

3 Gedanken zu „Die 6 Grundfehler der Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“

  1. Frank Schenk

    Für mich fällt das unter „Opium fürs Volk“. Ein paar „Netzaktivisten“ fühlen sich gebauchpinselt, weil sie zu dieser „Enquete“ (ich würde dieses Etwas einfach Arbeitskreis nennen, ihr wisst schon – wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich nen Arbeitskreis) eingeladen wurden und merken garnicht, daß sie Statisten im großen Politzirkus sind. Schaufensterpuppen der Demokratie. In den Ruinen der parlamentarischen Demokratie, die sich alle Mühe gibt, sich selbst zu demontieren. Ich bedauere es, daß sich diese „Netzaktivisten“ für dieses Schmierentheater hergegeben haben aber das war wohl zu verlockend. Mit dem „Großen“ an einem Tisch sitzen. Wer will das nicht. Nur haben die Parteispitzen da leere Puppen ohne Macht, Sachkenntnis oder gar Befugnisse hingesetzt, die ohnehin vordringlich an der eigenen Karriere interessiert sind und nicht an so einem „Internet-Kram“.

    Denk ich an Deutschland in der Nacht….
    …ihr wisst schon…

  2. Stephan Eisvogel

    Ich finds gut, daß das Drecksding so ganz und gar nicht gezündet hat. Weder bei „normalen“ Netzbenutzern, noch in der Piratenpartei. Niemand bei Verstand schreibt den Altparteien jetzt mehr Kompetenz in Sachen Netzpolitik zu, als vor der Einsetzung dieser Enquete. Meiner Partei empfehle ich auch künftig bei solchen Vogelscheuchen-Veranstaltungen die Sonthofen-Strategie. Sollen gefälligst jemand schicken, der Ahnung hat. Oder der in der Regierung was zu sagen hat, auch recht.

    Wer von der Generation Smartfone nicht ganz blind und dusselig durchs Web surft, muss begriffen haben, dass Vorratsdatengeneralverdacht und Netzsperren – immer noch – nur eine Unterschrift von der erneuten Einführung entfernt sind. Und daß es – immer noch – nur eine einzige Partei gibt, mit deren Mithilfe diese Dinge garantiert niemals eingeführt werden. Vielleicht ist das ein paar Berliner Mitbürgern ja demnächst mehr als die bislang „üblichen 2%“ wert.

  3. Oliver

    Lieber Herr Tauss,

    ich bin schockiert, dass Sie immer noch nicht kapiert haben, wie unsere Demokratie in den letzten Jahren funktioniert.

    Beispiel Griechenland:
    Ich kenne keinen angesehen Experten, der dafür ist Griechenland auf Teufel-komm-raus in der Eurozone zu halten. Ich kenne auch keinen Bürger, der es für sinnvoll hält, der Deutschen Bank das Geld vorne und hinten rein zu stecken, denn das wissen alle: das Geld landet bei Ackermann in der Gewinnstatistik und sonst nirgendwo. Trotzdem macht es Mutti einfach.

    Beispiel Hartz IV:
    Ich kenne keinen ernstzunehmenden Experten, der sagt, dass Hartz IV in irgendeiner Weise sinnvoll ist. Das System ist aus Sicht der Juristen ungerecht (z. B. Bedarfsgemeinschaften), aus Sicht der Sozialforscher menschenverachtend, aus Sicht des BVerfG reformbedürftig, aus Sicht der Finanzexperten teuer und aus Sicht des Bürgers unverständlich. Trotzdem setzt Mutti und Uschi den Kurs von Gasprom-Schröder unbeirrt fort. Sogar gegen die Auflagen des BVerfG.

    Beispiel Internetsperren:
    Es gab keinen Fachmann, der dem Gesetz etwas abgewinnen konnte und auch die Bürger haben sich massenhaft dagegen gestellt. Trotzdem wurde es verabschiedet, weil Uschi das irgendwie gut fand.

    Beispiel S21:
    Die Bürger bundesweit lehnen es ab und ich sage bundesweit, weil es auch bundesweit bezahlt wird. Bisher hat auch noch kein unabhängiger Fachmann einen echten Nutzen daran gefunden. Trotzdem wird es im Zweifel mit Wasserwerfern, Pfefferspray, gefakten Stresstests und vielen Provokateuren durchgesetzt.

    Beispiel VDS:
    Es gibt keinen bewiesenen Nutzen und trotzdem wird es gegen den Willen des BVerfG und der Bürger vorangetrieben.

    Beispiel Atomkraftwerke:
    Kein Bürger will die Dinger seit Jahren und trotzdem lässt Mutti sie nochmal 10 Jahre länger laufen unter Billigung aller Parteien.

    Ich könnte jetzt noch 20 Beispiele (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Steuergesetze, Schulsystem, usw.) aus dem Hut zaubern. Unsere Politik hat in den letzten 10 Jahre nichts mehr mit sinnvollem Handeln und schon gar nicht mit Bürgerinteressen zu tun. Es ist nur noch ein Abnickverein für das Kapital und die verschiedenen Lobbygruppen. Die Enquetekommision ist auch nur eine Alibiveranstaltung in dieser riesigen Bürgerver*rsche.

    Anmerkung tauss: Glaube schon, in über 40 Jahren Politik etwas kapiert zu haben 🙂 Die Frage ist doch nur: Was folgt aus Ihrer Kritik?

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