Archiv für den Monat: Dezember 2019

Thomas-Cook-Pleite: Bei 110 Millionen ist Schluss

Nicht nur @skeptikaa wunderte sich bei Twitter: „Die Bundesregierung erwägt, an die Geschädigten der Thomas-Cook-Pleite 300- 500 Millionen € zu zahlen. Geld ist offenbar genug da. Nach welchen Kriterien die eben mal ein paar hundert Millionen rausschmeißen dürfen die ruhig erklären.“

Diese berechtigte Frage ist allerdings leicht zu beantworten: Einmal mehr kommt der steuerzahlenden Normalbevölkerung gesetzgeberische Schlamperei und voraussichtlich schlichter Lobbyismus teuer. In allen anderen EU- Staaten ist dies eben nicht der Fall.

Das Eigenlob der Bundesregierung, sie lasse die „Thomas-Cook-Kunden nicht im Regen stehen“ macht sich zur Adventszeit zwar gut, ist aber auch nur Teil der Wahrheit. Denn die Haftungsbegrenzung von Reiseveranstaltern und deren jeweiligen Ausfallversicherungen auf 110 Millionen Euro in Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie war eine politische Entscheidung (§ 651r BGB).

Der prompte Verweis der CDU/CSU- Bundestagsfraktion auf ein Versagen des früheren Justizministers Heiko Maas (SPD) ist somit wohlfeil. Es ist nicht bekannt, dass sich der schwarze Teil der Koalition vehement dafür eingesetzt hätte, diese Grenze zur Vermeidung von Risiken nach oben zu schieben. Ganz im Gegenteil. Eine verbesserte Insolvenzregelung auf Antrag der Grünen wurde noch im Februar des Jahres mit schwarz – roter Koalitionsmehrheit im Bundestag abgelehnt,

. Und dies, obgleich Fachleute wie die Touristikerin Marija Linnhoff vom Verband unabhängiger Reisebüros bereits damals forderten, „auf Thomas Cook aufzupassen“. Solche Warnungen verhallten im parlamentarischen und ministeriellen Alltagstrott ungehört.

Und somit ist auch klar, dass für den laut Bundesregierung als „unwahrscheinlich“ eingeschätzten Fall eines höheren Schadens nur noch die Staatshaftung bleibt. Bei ihrer früheren optimistischen Beurteilung ließen sich Regierung und Parlamentsmehrheit fahrlässig von der Höhe früher bekannter Insolvenzen von Reiseveranstaltern, damals wohl 30 Millionen, leiten.

Insofern ist auch der von der Bundesregierung beschworene „ungewisse Ausgang“ einer Prozesslawine, welche die Kunden mit Sicherheit angestoßen hätten, nur eine weiterer kleinerer Teil der Wahrheit. Denn die Rechtslage zu Lasten des Staates allein aufgrund der unzureichend umgesetzten EU- Richtlinie ist so klar wie die berühmte Kloßbrühe: Der Bund, und somit wir alle, hat zu zahlen. Punkt.

Da hilft auch kein Getwitter aus grünen Kreisen, weshalb Privatpersonen beim eventuellen Konkurs einer Ferienwohnung am Bodensee nicht entschädigt werden, demgegenüber aber nun Thomas-Cook-Kunden für „Flugreisen zum Ballermann“. Auch diese Frage ist nachvollziehbar, aber in der Sache albern. Wer seine Ferienwohnung oder Öko- Fahrradtour pauschal über einen Reiseveranstalter bucht wäre angesichts der Rechtslage ebenso abgesichert wie der berühmte Ballermann- Tourist. Und egal ob Ballermann oder Öko-Reisender: Wer mühselig auf eine, vielleicht die einzige, Urlaubsreise sparte, muss sich im Schadenfall auf gesetzgeberische Zusagen und seinen Reisesicherungsschein verlassen können.

Es stellt sich daher die sinnvollere Frage, warum der Anbieter von Radtouren ungeachtet seines geringen Umsatzes gegen eine Insolvenz genau so hoch abgesichert sein muss wie der Thomas-Cook-Konzern. Es spielt nämlich keine Rolle, ob eine kleiner Veranstalter 1 Million Umsatz hat oder 500 Millionen. Auch solchen Ungereimtheiten dürfte man jetzt seitens des Gesetzgebers zu (er-)klären haben.

Touristiklobbyisten warnen vorbeugend bereits jetzt wieder davor, die Absicherungsgrenzen zu erhöhen. Dies verteuerte Reisen. Soviel Chuzpe ist allerdings schon bemerkenswert. Thomas-Cook stellte sogar die Vizepräsidentin des Deutschen Reiseverbands (DRV) .

Da wäre eine gewisse Zurückhaltung angemessen. Denn es ist, wie wir gerade lernen, für die Allgemeinheit wohl noch teurer, Reisen durch niedrige Haftungsgrenzen zu verbilligen.

Jedenfalls beginnt in Berliner Regierungskreisen nun das große Nachdenken. Beispielsweise darüber, aus welchen Etattöpfen heraus die Millionenzahlung erfolgen soll. Darüber will das Kabinett laut Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im neuen Jahr entscheiden. Man weiß es schlicht noch nicht.

Auch nicht, wie die Abwicklung konkret und durch wen erfolgen soll. Immerhin geht es bei einer Schadensumme von rund 80% des Betrags tatsächlich um rund 350 – 400 Millionen Euro für den Bund. Für für die involvierte Zurich – Versicherung ist demgegenüber bei besagten 110.— Millionen Schluss. Welche Konsequenzen sind aus dem teuren Desaster zu ziehen? Auch das kann man im „federführenden Ministerium“ noch nicht wirklich sagen. In „vorbereitende Gespräche“ sei die Reisebranche und die Versicherungswirtschaft aber bereits „eingebunden“, lässt die ministerielle Pressestelle verlauten. Na denn. Schauen wir mal, wie künftige Sicherheitsscheine aussehen.