Trauerspiel Internetenquete

Der Deutsche Bundestag soll die ….Möglichkeiten der neuen Medien zu nutzen, um ihn in seiner Funktion als Repräsentant der Deutschen Bevölkerung zu unterstützen…. Dieser Satz stammt nicht aus der aktuellen Adhocracy“ – Debatte innerhalb der Bundestagsenquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Jahres 2011. Er ist fast auf den Tag genau 6 Jahre alt.

Oliver Märker (Fraunhofer) und Matthias Trénel (Wissenschaftszentrum Berlin) legten im Februar 2005 (!) nach zuvor fünfjährigem parlamentarischen Palaver und entsprechendem Auftrag durch den BT-Unterausschuss „Neue Medien“ die sogenannten Eckpfeiler für das Projekt eParlament des Deutschen Bundestages vor. Nun also, wie ausgeführt 6 Jahre später, wurde in der Enquete einmal mehr ein entsprechendes Projekt erneut verschleppt, wie SPON berichtet und gleich ahnungsvoll fragt…Wird da mit Absicht geblockt...? Man möchte den frühmerkenden Spiegel-Schreibern ein fröhliches JA zurufen. Selbstverständlich wird da mit Absicht geblockt. Und das nicht erst seit einem Jahr.

Man müsste nur ins eigene Archiv schauen. Denn die Debatte ist noch viel älter….Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik erhält der Bürger wirklich die Chance, an dem Entstehungsprozess eines Gesetzes mitzuwirken… jubelten wir damals mit SPON schon im Jahre 2000 und selbst die Union jubelte mit. Schließlich wollte man dem bösen Tauss nicht allein das Feld überlassen.

Doch das war es dann auch. Schon damals wurde das Projekt www.eDemokratie.de (heute 404-Seite) hinter den Kulissen mit allen Mitteln im Ältestenrat verhindert. Blockierer war zunächst Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD)  bis hin zum Personalrat und Teilen der Verwaltung und später sein Nachfolger Norbert Lammert (CDU). Jahrelang ging es bei den formalisiert vorgetragenen Ablehnungsgründen mal um Stellen, mal um den Digital Divide und immer um Geld. Wie auch jetzt. Diesmal sitzen die Blockierer, vor allem in Gestalt von Union und FDP, in der Enquete selbst, wie Netzpolitik.org berichtet.

80.000.– Euro Kosten für Adhocracy wurden willkürlich und ohne jede nachvollziehbare Grundlage  in den Raum geworfen- und natürlich erneut im Ältestenrat abgelehnt. Listig sprang der Chaos Computer Club CCC darauf an und bot dem Bundestag an, das Projekt mit diesem Betrag zu finanzieren oder sogar preiswerter zur Verfügung zu stellen. Auch diese Blamage dürfte die unerschütterlichen Verweigerer jedoch kaum erschüttern.

Denn auch das hatten wir schon einmal. Vor der CeBIT2000 kam damals ein ähnliches Angebot vom damaligen deutschen IBM- Boss Erwin Staudt, das „natürlich“ entrüstet abgelehnt wurde: Wenn wir es wollen, finanzieren wir es auch, tönte die damals zuständige IuK-Kommission beim Bundestagsältestenrat. Dazu würde kein Geld aus der Industrie benötigt. Selbst Angebote einer Stiftung, wie beispielsweise der ALCATEL-Stiftung für Kommunikationsforschung, zur wissenschaftlichen Begleitung eines solchen Projekts fanden keine Gnade.

Und doch wäre es vor Jahren fast dazu gekommen, etwas auszuprobieren. Elektronische Bürgeranhörungen lassen sich am besten in die Arbeit der Ausschüsse integrieren. Hier sollten sie parallel oder vor den Expertenanhörungen stattfinden, um für Ausschussprozesse von größtmöglichem Nutzen zu sein, schlugen Märker und Trénel vor. Die Ausschüsse sollten doch bitte wenigstens zwei Gesetzgebungsverfahren benennen, an denen man mehr Bürgerbeteiligung hätte ausprobieren können.

Vorgeschlagen wurde die anstehende Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes, weil man doch irgendwie davon ausging, dass am Datenschutz interessierte Bürger  auch Internetzugang hätten. Doch kein Ausschuss war dazu in den Jahren 2008 und 2009 bereit- voran nicht der für den Datenschutz zuständige Innenausschuss. Und das „neue“ Argument hierfür? Richtig: Zu teuer, zu aufwändig, keine Stellen, digital Divide. Und vor allem: Das Projekt wecke unrealistische Hoffnungen auf plebiszitäre Elemente in der Bundestagsarbeit, tönte es aus dem Umfeld der innenpolitischen Obleute.

Um deshalb beim staunenden Volk gar nicht erst die Vermutung aufkommen zu lassen, wurde das eDemokratie – Projekt aber zuvor schon damals in eParlament umgetauft. Und so schrieben die Autoren 2005 nur noch, dass statt der Einführung direktdemokratischer Elemente im Mantel neuer Technologien die repräsentative Demokratie gestärkt werden solle.

Und sie warben für die Idee weiterhin mit warmen Worten: Der Bundestag kann die Bevölkerung noch besser repräsentieren, wenn er neue Möglichkeiten der Anhörung von Bürgern schafft. Durch elektronische Bürgeranhörungen kann der Bundestag sein Ansehen in der Öffentlichkeit, insbesondere was Bürgernähe und Modernität betrifft, weiter fördern.

Das las man gern. Und so heißt es auch erneut im Einsetzungsantrag zur Enquete aus dem Jahre 2010 :

Die Enquete-Kommission bezieht die Öffentlichkeit in besonderem Maße in ihre Arbeit mit ein. Über die Arbeit der Kommission wird regelmäßig und so transparent wie möglich auf der Internetseite des Deutschen Bundestages informiert. Dort werden zudem Beteiligungsmöglichkeiten angeboten, die Anregungen aus der Öffentlichkeit in geeigneter Weise in der Arbeit der Kommission einfließen lassen können.

Weiter war man das schon in den genannten Eckpunkten des Jahres 2005:

Das Projekt sollte als Experiment auf einige Jahre hin angelegt sein. Sowohl die notwendigen Verfahrensabläufe wie auch das Vertrauen der Bürger in ein solches Angebot werden nicht ad hoc herstellbar sein. Stattdessen ist von einem Lernprozess auszugehen, der fortlaufend evaluiert werden sollte, um nach einigen Jahren entscheiden zu können, was und in welcher Form sinnvoller Weise in den Dauerbetrieb des Bundestages übernommen werden kann.

Warum aber überhaupt über neue Beteilungsmöglichkeiten reden, wenn schon die Alten nicht funktionieren? So ist eine der zentralen Erfahrungen von Mitbürgern und nicht nur des Autors dieser Zeilen, dass Anfragen seitens der Enquetekommission offensichtlich grundsätzlich nicht beantwortet werden. Das Trauerspiel geht also weit über Adhocracy hinaus.

Hierüber und über andere Sachverhalte wurde bereits gezwitschert:

Reisender, besuchst Du die Enquete….

oder

Nun wird ausgeschöpft…

3 Gedanken zu „Trauerspiel Internetenquete

  1. kar

    Es ist doch ganz einfach, wenn die Unionsparteien merken, dass andere Positionen als das, was die Unionsparteien vertreten, erwartet werden, könnte soetwas wie ein Umdenkungsprozess stattfinden.

    Dafür müsste man allerdings den Druck erhöhen. Ich würde vorschlagen, die Leser, die noch nicht im CCC sind, treten in diesen ein und engagieren sich für eine unverbindliche Parteienempfehlung des CCC vor Wahlen. Hier gibt es, da die Piratenpartei ein netzpolitischer Umfaller ist und das Ende dieses Umstandes nicht einzuschätzen ist, aktuell nur die DDP, was ich an der Stelle nahelege.

  2. Sideboard

    Klingt in der Tat wenig ermutigend. Dabei sehe ich gerade darin eine Zukunft für unsere Gesellschaft. Die Probleme der vier- oder fünfjährig gewählten repräsentativen Demokratie sind direkt sichtbar und über die neuen technischen Möglichkeiten, die das Internet bietet, ergeben sich plötzlich neue Konzepte. Warum wird diese Chance nicht ergriffen, sondern sich offenbar mit Händen, Füßen oder genauer: formativ dagegen gewehrt, anstatt das ungeschöpfte Potential anzuzapfen, das einer Bürgerbeteiligung innewohnt?
    Den Digital Divide vorzuschieben ist absurd, es entspreche der Logik: „Wenn nicht alle gleichermaßen teilhaben können, soll es niemand tun.“ Am erschreckendsten empfinde ich das gegebene Zitat, das es in ganzer Unverhohlenheit zusammenfasst: „Das Projekt wecke unrealistische Hoffnungen auf plebiszitäre Elemente in der Bundestagsarbeit“ Oh, brave old world.

  3. Ignatz

    Jetzt stellt sich die Frage, ob „die da oben“ überhaupt Beteiligungsmöglichkeiten wollen. Das bezweifle ich langsam, nachdem der Blogeintrag so klingt, als wäre das Experiment gegen Ende ziemlich halbherzig betrieben worden.

    Was mir weiter auffällt, ist das Jahr 2005. Erinnere ich mich richtig, dass in diesem Jahr der Herr Schröder ein Misstrauensvotum gestellt hat und kurz darauf Neuwahlen stattfanden? Im selben Jahr schwenkte die Enquete von „direkter Bürgerbeteiligung“ um auf „verbesserte repräsentative Regierung“ um. Fehlt nur noch, dass dieses Umschwenken auf die Zeit nach den Wahlen fällt — danke, euer Ehren, ich habe keine Fragen mehr.

    Da hatte wohl eine beim Internetvölkchen wohl bekannte und berüchtigte Partei (oder nach Fefe „schwarze Pest“) Angst, dass die Bürgerinnen und Bürger zu viel Einfluss haben könnten.

    Grueße
    Ignatz

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