Parlaments-Bevormunder

Da könnte ja jeder kommen. Bei der Euro-Rettungsschirm-Debatte und bei anderen Gelegenheiten wurden im Deutschen Bundestag schon mal „abweichende“ Meinungen artikuliert. Furchtbar. Das geht ja nun mal gar nicht. Sagt Herr Kauder. Sagen Union, SPD und FDP in seltener Eintracht.

Einer, der in solchen Fällen immer wieder übel „auffällt“, ist beispielsweise der CSU-Abgeordnete Gauweiler. Der erlaubte es sich sogar, gelegentlich gegen die eigene Obrigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht zu Felde zu ziehen. Aber solche und andere unangenehme Stimmen werden, geht es nach den derzeitigen Fraktionsführungen, künftig unterbunden. Reden sollen im Plenum des hohen Hauses nur noch jene, die von der jeweiligen Fraktion dazu die ausschließliche Erlaubnis erhalten, dabei selbstverständlich die Meinung ihrer OBEREN und wohl am Besten zum Lobe der Regierung, wider geben. Eigentlich genügte es, so betrachtet, künftig ganz ohne Bundestag die Pressemeldung der jeweiligen Fraktionsführung zu verlesen. Dieser Vorgang ist schlicht ungeheuerlich und alarmierend.

Dass er von Union und SPD begeistert mitgetragen wird, verwundert (leider) nicht mehr. Ausgangspunkt dieses Vorstoßes zur Änderung der Bundestagsgeschäftsordnung ist einmal mehr der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder. Dass sich die vormals „liberale“ FDP diesem parlamentsfeindlichen Akt anschliesst, erstaunt wohl auch nicht. Der zuständige Geschäftordnungsausschuss tagte zum Thema unter Vorsitz des Schäuble-Schwiegersohns.

Musterparlamentarier Kauder wird vom SPIEGEL zur Begründung des Vorstoßes wie folgt zitiert:

Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen.

Wenn ALLE redeten? Welches System? Das System, dass dieses Parlament immer mehr zum Abnickerverein degradiert wird? Ausgangspunkt von Kauders lächerlich anmutender Angst vom Systemzusammenbruch war, dass sage und schreibe ZWEI Abgeordnete aus Union (Willsch) und FDP (Schäffler) 5 Minuten (!) Redezeit bei der EURO-Debatte zugebilligt wurden. Von ALLE kann also nicht die Rede sein (hier eine kurze Zusammenfassung der damaligen Debatte beim stern).

Doch jede(r) Abgeordnete könnte in 2. Lesung eines Gesetzgebungsverfahrens sogar noch Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen einbringen und nicht nur seine Meinung sagen. Wann wird nach dem Willen von Kauder & CO dann auch diese „systemsprengende“ Möglichkeit abgeschafft, wenn man schon dabei ist, grundlegende parlamentarische Rechte von Abgeordneten zu beseitigen? Sobald sie einmal jemand nutzt?

An ein weiteres parlamentarisches Debattenrecht soll allerdings schon jetzt die Axt angelegt werden: Die Möglichkeit, mündliche Erklärungen zur Abstimmung abzugeben. Auch dieses Recht wurde in der Vergangenheit nicht sehr häufig genutzt. In der Regel erfolgte dies schriftlich. Jetzt aber soll es nur noch schriftlich ins Protokoll kommen, damit es niemand mitbekommt und die mündliche Äußerung ausgeschlossen werden.

Hätte diese Regel schon 2009 gegolten, hätte ich beispielsweise damals als MdB der Piraten nie zu Zensursula reden können…(ich stimme dagegen, weil…)

Erschreckender als diese geplanten Einschränkungen sind nur noch die Reaktionen der Betroffenen selbst. Allein Gauweiler hat den Gang vors Bundesverfassungsgericht angekündigt. Wo ist der Protest von anderen anständigen Konservativen, Sozialdemokraten, den Restliberalen?

Die Bevölkerung scheint jedenfalls bezüglich der Parlamentarierrechte „Ihrer“ Volksvertreter sensibler zu sein als diese selbst. In einer Tagesschau-Blitzumfrage sehen 97,5% die Glaubwürdigkeit des Bundestages als beeinträchtigt an.

Zu Recht! Es wäre gut, stoppte die öffentliche Meinung und nicht erst das höchste deutsche Gericht die Parlamentsbevormunder Kauder, Steinmaier, Brüderle wie auch deren Fraktionsgeschäftsführer Altmaier, Oppermann und van Essen. Diese Abgeordnetenbevormundung muss vom Tisch. Jede Fraktion muss auch mit Kritikern aus eigenen Reihen leben. Abgeordnete sind NUR ihrem Gewissen verpflichtet. Oder sollten es wenigstens sein.

Die originellste Zurückweisung von Kritik (meiner Kritik) an diesem inakzeptablen Versuch antiparlamentarischer Bevormundung kam übrigens von besagtem van Essen via twitter an dessen liebe Kollegen von Union und SPD:

Jörg van Essen ‏ @joergvanessen @peteraltmaier @ThomasOppermann @tauss Ich bleibe dabei: Jede Kritik von Tauss ist das höchstmögliche Lob!

Damit kann ich leben. Mit seiner Politik sollte man es aber besser nicht.

 

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