Die Facebook-Revolution eines Schülers

Aktualisierung nach Auskünften der Polizei Wiesbaden am 1. 2. 2012

#Revolution wurde heute (27.1.)zum running gag auf twitter. Viele riefen sie aus. @Rheto kochte schon mal Kaffee für das „bald anrückende SEK“. Wir hatten viel Spass. Wer aber fragt nach dem Jungen, fragte @Forschungstorte. Richtig. Wer fragt nach dem Betroffenen?

Denn weit weniger lustig ist der Hintergrund der Geschichte. Ein Wiesbadener Schüler wurde festgenommen. BILD Ersatz Frankfurter Rundschau (FR) informierte und ausführlich:

„Er hat Angst und Schrecken verbreitet“, weil er „nach einer für ihn frustrierenden Situation“ auf Facebook an seiner Schule wörtlich mit einer Revolution gedroht hätte. Dies hatten Mitschüler einer Lehrerin mitgeteilt, „sodass daraufhin um 12:51 Uhr die Schulleitung die Polizei verständigte“. Angst und Schrecken?

Auf facebook kündigte „er“ in der Tat eine Revolution an. Zitat „Ich kündige eine Revolution an“. 5 Worte. Nicht mehr – nicht weniger. Nichts mit Messer, nichts mit Herumgefuchtele mit Waffen.

Mittwochmittags war in Wiesbaden nach Mitteilung der Polizei und der Medien diese „Bedrohungslage“ entstanden. „Da die Äußerung nicht genau einzuordnen gewesen sei und Gefahr bestanden haben könnte, wurde der jugendliche apokalyptische Reiter in der Nähe seiner Dürer-Schule „aufgegriffen und befragt“, so die Wiesbadener Polizei. Das Wort „könnte“ stößt irgendwie auf.

Der Übeltäter war sofort aufgegriffen und befragt worden. Somit bestünde keinerlei Gefahr mehr für Dritte, wurde ergänzend mitgeteilt. Beruhigend. Keine Gefahr mehr? Welche Gefahr bestand überhaupt? Dazu hört und liest man nach dem Polizeihype vom Mittwoch nun aber gar nichts mehr. Auskünfte werden schwammig erteilt. 

Nur so viel, als dass bis gestern Nachmittag „geschulte Polizeibeamte in der Schule waren, die mit den verängstigten und verunsicherten Schülern sprachen“. Ahh ja. Weshalb die Schüler nun eigentlich verängstigt waren, wurde nicht verraten. Hatte die Revolution stattgefunden? Gab es einen Amoklauf? Nein. Dennoch standen auch für Eltern und Angehörige der circa 500 Schüler sofort Psychologen und Berater auf dem Schulgelände bereit, „um Betroffene über die Situation aufzuklären und zu beruhigen“.

Könnte es eigentlich nicht eher der Polizeieinsatz selbst gewesen sein, der zu dieser Hysterie und der Notwendigkeit der Beruhigung führte? Was hatten die „verängstigen“ Schüler eigentlich selbst mitbekommen? Sofort machten durch ein Blatt Gerüchte die Runde, wonach der 18-Jährige ein Messer gezogen habe und andere Schüler damit bedrohte. Dies konnte oder wollte die Polizei jedoch nicht bestätigen. Sie hat es jetzt auch am 2. Tag weder bestätigt noch dementiert. „Blödsinn“ sagten einige der doch eigentlich völlig verstörten Mitschüler dazu.

Die nunmehr zu beobachtende polizeiliche Zurückhaltung nach diesem Großeinsatz wird so aber ein weiteres Problem des Betroffenen und des Falles. Selbstverständlich ist auf eine Bedrohungslage einzugehen. Aber es ist verantwortungslos, dann auch nach Tagen nicht Blödsinn von Realität zu trennen. Vielleicht war es so, vielleicht auch nicht.

Der Schüler, der Probleme an der Schule gehabt habe, solle nicht kriminalisiert werden, teilte die Polizei dann am Mittwoch noch mitfühlend mit. „Es sei aber noch nicht klar, welche strafrechtlichen Konsequenzen dieser Fall für den Jungen habe“.

Redet man so, wenn man nicht kriminalisieren will? War es also Sensibilität, dass die Polizei dann dennoch „deutlich“ darauf hinwies, dass ein „solches Verhalten“ strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne und Kosten für den Verursacher entstünden?

Welches Verhalten? Was wurde eigentlich auf Facebook nun tatsächlich geschrieben? Düster teilte die Polizei statt dessen mit, dass es nach dem Stand der Ermittlungen „im Bereich des Möglichen lag“, dass der Schüler mit diesen (welchen?) Worten eine konkrete Straftat verbinde. Daher „sicherten“ Polizisten die Schule und fahndeten nach dem Schüler. Sehr schwierig kann die Fahndung nicht gewesen sein, weil er schon kurze Zeit nach dem Polizeieieinsatz außerhalb des Schulgeländes aufgegriffen worden war. Halali, die Jagd war erfolgreich.

Hinter diesen polizeilichen Wichtigtuereien wollte dann der aufgeplusterte Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiesbaden laut FR dann wohl auch nicht mehr zurückstehen. Der fabulierte bereits über das Strafmaß: Von einer Ermahnung bis hin zu einer Jugendstrafe von bis zu zehn Jahren reiche der Strafrahmen. „Bei Letzterem müssten jedoch schädliche Neigungen vorliegen“, wusste Herr Staatsanwalt Ferse. Tröstlich fügte er hinzu: „Jeder Fall werde individuell betrachtet.“

Sorry, Herr Staatsanwalt: So macht man Menschen fertig. Wer kümmert sich eigentlich psychiatrisch um solche Staatsanwälte?

Vielmehr sei nun aber der Junge in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, liest man. Wie lange der 18-Jährige dort bleiben wird, müsse ein Richter entscheiden. Es war nicht herauszubekommen, ob er wieder frei ist.

Auf Anfrage teilte die Polizei am 31. 1. mit:

1. Der Schüler wurden zur Sache vernommen und befindet sich nach wie vor in psychischer Behandlung.

2. Gegen den Schüler wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung eingeleitet

3. Bei der Durchsuchung des 18-Jährigen wurde ein Teleskopschlagstock und eine Schreckschusspistole ohne Munition gefunden.

Letzteres wäre nicht einmal illegal. Ich mag, um den Herrn Bundespräsidenten zu zitieren, nicht in einem Land leben, in dem jeder Facebookeintrag und jeder vergessene Schulranzen bereits Hysterie und Panik auslöst, Vorverurteilungen bis hin zu Spekulationen zur Bestrafung stattfinden und die Täter gleich Fälle für die Psychiatrie sind.
Anschließend teilte die hessische Polizei auf Befragen zum „Strafmaß“ am 1. 2. mit:
Die Polizei hat keine Mutmaßungen (zur Bestrafung) angestellt, sondern lediglich festgestellt, dass ein solches Verhalten strafrechtliche Konsequenzen haben kann und der Sachverhalt noch von der Staatsanwaltschaft geprüft werden muss.

Ohne Worte hier noch Links und Überschriften zum Fall:

http://aktuell.meinestadt.de/wiesbaden/2012/01/25/wiesbadener-schueler-nach-ankuendigung-einer-revolution-festgenommen/

http://www.wiesbadenaktuell.de/nachrichten/news-detail-view/article/drohung-gegen-die-albrecht-duerer-schule.html

Bedrohungslage

18-Jähriger Schüler kündigte Revolution über Facebook an – Großeinsatz der Polizei

http://www.fr-online.de/wiesbaden/nach-revolutions-drohung-auf-facebook-18-jaehriger–in-psychiatrie-eingewiesen,1472860,11523256.html

NACH REVOLUTIONS-DROHUNG AUF FACEBOOK
18-Jähriger in Psychiatrie eingewiesen

http://www.fr-online.de/wiesbaden/drohung-auf-facebook-18-jaehriger-kuendigt-revolution-an,1472860,11516356.html

18-Jähriger kündigt Revolution an

Der Schüler wurde von der Polizei festgenommen. Seine Motive sind noch unklar

14 Gedanken zu „Die Facebook-Revolution eines Schülers

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  2. Krankjaeger

    Der Typ hat es aber vierdient, das er Ärger hat. Wer kranke scheiße im facebook verbreitet muss damit rechnen Ärger zu bekommen.

  3. rudolf schmid

    hm, da kommt mir doch das telefongespräch unseres wulffen wieder in erinnerung. sprach dieser nicht von krieg gegen die bildzeitung?
    aber ein herr wulff, der als lügenbaron das recht nach seinen gedünken auslegt, hat keinen polizei einsatz zu fürchten.
    ein hoch auf unseren rechtsstaat!

  4. PanPagan

    Angeblich soll der Bengel im Besitz eines Teleskopschlagstockes und einer Schreckschußpistole ohne Munition gewesen sein.

    Besitz beider Gegenstände ab 18 erlaubt. Führen der Pistole nur mit kleinem Waffenschein. Führen des Schlagstockes verboten.

    Da wird wieder aus einer Mücke ein Elefant gemacht.

    Anmerkung tauss: Ausgangspunkt ist allerdings die „Bedrohung“ auf facebook. Der genaue Text wurde aber bislang nicht veröffentlicht.

  5. Maunz

    Es ist erschreckend wie schwierig es „digital immigrants“ fällt Gegebenheiten des Internets auf das wirkliche Leben zu projizieren. Ich meine, selbst eine Drohung oder eine Beleidigung kann im Internet, wo alles viel offener, freier und „leichter“ ist, einfach passieren.
    Wer kennt das bitte nicht? Flames sind doch Gang und Gebe! Wird die Polizei dann immer besonders schnell und hart eingreifen und zukünftig unsere Türen einschlagen?

    Mal ehrlich… wäre denn so etwas passiert hätte er in irgendeinem kleinen Forum oder einem Blog von Revolution gesprochen? Ich denke nicht.

    Bei so einer Meldung sollte man darüber nachdenken diesen Leuten beizubringen wie sie mit dem Internet umzugehen haben, sowohl den Lehrern, der Polizei als auch der Presse, die langsam lernen sollte wie sinnlos diese Form der Hetze ist.

  6. Habnix

    Der Computer ist eine Revolution.
    Facebook ist eine Überwachungsrevolution.
    Der Staat ist durch Facebook eine Überwachungsrevolution.

    Überall Überwachung.

    Das Leben und die Freiheit erstickt in all der Überwachung.

    Wenn Revolution gleich mit was böses in Verbindung gebracht wird,dann steht die Gesellschaft still,denn es könnte ja mit jeder Bewegung sein,das ich damit eine Revolution aus löse.

    Bloß nicht bewegen.

  7. Thomas

    Ja, gleich ab in die Psychatrie. Das ist ja Standartverfahren bei Menschen, die ihren Frust rauslassen. Arme Welt.

  8. Patrick

    Ja mag überreagiert wurden sein, ein persönliches Gespräch seitens des Lehrpersonals wäre wohl verhältnissmäßiger gewesen.

    Andererseits wäre garnichts unternommen wurden und es währe wirklich etwas in richtung Amoklauf passiert, wären die Behörden wieder die Buhhmänner die wider besseren Wissens nichts unternommen haben.

    Revolution sollte nicht gleich mit Amoklauf assoziiert werden, aber wenn bedenken aufkommen hätte man wie gesagt das Gespräch mit dem Schüler suchen- und nicht gleich das SEK mobilisieren müssen 🙂 .

  9. Burkanar

    er soll bewaffnet gewesen sein, was für Waffen es waren wird nicht mitgeteilt. Also langsam und abwarten.

    Anmerkung tauss: Wäre er bewaffnet gewesen wäre das der Öffentlichkeit längst mitgeteilt worden.

  10. Heiko

    Ich möchte hier mal wikipedia zitieren:

    „Der Terror (lat. terror „Schrecken“) ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen. Das Ausüben von Terror zur Erreichung politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Ziele nennt man Terrorismus.“

    Vielleicht folgt die Polizei mit ihrer übertriebenen Reaktion einem Plan. Wer weiß.

  11. kar

    Was hier gerechtfertigt war, sollte ein Gericht klären. Spekulationen wären noch verfrüht. Das hört sich aber, was man jetzt schon sagen kann, eher so an, als wenn es sich bei dem Schüler um ein Stalking Opfer handelt, das gegen Missstände an dieser Schule protestieren wollte. Da müssten eigtl. die Stalker und verleumderische Lehrkräfte von der Schule verwiesen bzw. anspruchslos suspendiert werden!

    Opfer von Straftaten wie Stalking sollten eigtl. vom Gesetzgeber geschützt und nicht weggesperrt werden. Und offengesagt, sollte festgestellt werden, das Mobbing an der Schule keine Seltenheit ist, dann gehört diese eigtl. schnellstmöglich geschlossen und das gesamte Lehrpersonal entlassen. Meine Meinung.

  12. man man

    ich kann mir gut vorstellen wie das abgelaufen ist.

    -„Chef, in einer Schule hat jemand zu Revolution aufgerufen. Machen wir da was?“
    -„Gott stehe uns bei! Es ist soweit: Alle Kräfte in Bewegung! Holt das SEK!“

    die haben natürlich befürchtet, es gibt ne demo. was sonst sollte der aufuf zur revolution auch bedeuten können?

    die schule wurde umstellt, um ne demo zu verhindern. dann haben die eine stunde gewartet und gemerkt dass sich nichts rührt. deswegen wirkt das ganze so skurril.

    und um ihren heftigen einsatz zu legitimieren und „Trittbrettfahrer“ abzuschrecken , setzen jetzt vermutlich auf so Amoklaufartige Erklärungen von wegen psychischer Störung.

    wer weiss, warum der junge in der klinik ist, jeder hat so seine probleme. aber das wussten die cops ja vorher nicht. der polizeieinsatz war eindeutig politisch.

    ein ausdruck von heller anik.

  13. Sintaura

    Mir stößt auf, dass hier endlich mal im Vorwege etwas unternommen wurde und trotzdem gewettert wird. Hätte die Polizei NICHT auf die Hinweise reagiert und es WÄRE was passiert, wär das Geschrei und vor allem der Schaden viel größer gewesen. Frei nach dem Motto „wie man’s macht, macht man’s verkehrt“…

    Fakt ist: Wir sind alle keine Hellseher; auch bei der Polizei fehlt diese Stelle gänzlich. Ein Missstand.

    Was genau die Hintergründe des Ganzen sind kann derzeit also nur gemutmaßt werden. Genauso plausibel: Ja, er hat eine „Revolution“ erwähnt und seine Mitschüler die ihn nicht leiden und/oder verstehen können haben eine Hetzkampagne aus dem Boden gestampft. (Ob tatsächlich aus Angst oder Mobbinggründen wird wahrscheinlich auch nie gänzlich geklärt werden, vermutlich waren auch deshalb noch Beamte an der Schule um genau das herauszubekommen?!) In die „Psychatrische“ ist er dann gekommen weil er angesichts dieser sich verselbständigen „Lawine“ zusammen gebrochen ist.
    Und die Presseberichte nach denen „für so ein Verhalten eine Jugendstrafe“ in Frage kommt sollten nur mögliche Trittbrettfahrer abschrecken.

    Ja das ist reine Spekulation. Genau wie der obige Artikel.

    Anmerkung tauss: Ich habe deutlich geschrieben, dass die Reaktion gerechtfertigt war. Aber die Umstände sind mehr als fragwürdig. Und da die Gefahrenlage spätestens um 14.00 Uhr beendet war, hätte man die Hysterie mit klaren öffentlichen Erklärungen beenden können. Dies ist nicht erfolgt. Tatsächlich wurde aber dem gegenüber offensichtlich nachgelegt und seitens der Polizei die Öffentlichkeit bis heute nicht vernünftig informiert. Wie kann es kommen, dass immer noch die Messerstory durch die Gegend geistert?

  14. Peronistisch

    Ungeheuerlich! Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, wäre unter diesen Umständen jede Woche die Polizei angerückt. Und das an einem Gymnasium (das sich, zumindest selbst, als renommiert ansah). Wie man so erbärmlich überreagieren kann ist mir ein Rätsel. Vor allem, dass danach niemand die Eier hat das Überreagieren zuzugeben, sondern der Junge zur Vertuschung gleich eingeliefert wird. Nach dem Motto: Den machen wir schon noch zu dem Täter, den wir brauchen.

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