Welche Drogen nimmt Klingbeil?

„Es sind nicht ausschließlich die Netzthemen, die sie (die Piraten) attraktiv machen. Gleichwohl war ihre Geburtsstunde sicherlich der irrsinnige Versuch, in Deutschland Netzsperren einzuführen. Ein unwirksames Instrument, was nun auch endlich die schwarz-gelbe Regierung eingesehen hat“ Lars Klingbeil

Man muss es zwei mal lesen, um es glauben zu können. Selbst meine an Parteierfahrung reiche sozialdemokratische Gattin konnte sich angesichts der Ereignisse aus dem Jahre 2009 über diese Chuzpe nur noch ärgern. Nochmals, um es auf der Zunge zergehen zu lassen: …. der irrsinnige Versuch…., den endlich auch die schwarz-gelbe Regierung eingesehen hat….. ?????

Nein lieber Lars Klingbeil. Welche Droge hat zu dieser Darstellung geführt? Hätte es im Jahre 2009 eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD gegeben, wäre das gesetzgeberische Machwerk ohne Wenn und Aber unter jubelnder Zustimmung der meisten Sozialdemokraten  in Kraft getreten.

Man muss die FDP nicht mögen. Aber nur der Regierungswechsel und der Widerstand im Netz bis hin zur Petition der 130.000 beeindruckte die Liberalen so, dass sie via Koalitionsvertrag (24.10.2009, S.105 von 132) die in 3. Lesung verabschiedeten schwarz-roten Sperren nicht nur in Frage stellten, sondern letztlich dann auch mit viel Gewürge gekippt haben.

Nicht nur der Fairness halber muss daher dieser klingbeilsche Vertuschungsversuch des historischen Versagens der SPD beim Zustandekommen des als Zensursula zu trauriger Berühmtheit gelangten Zugangserschwerungsgesetzes zurückgewiesen werden.

Wie es wirklich war…..

Wie es wirklich war – und Wahrheit tut weh – habe ich schon einmal früher auf tauss-gezwitscher beschrieben.

Der Widerstand gegen die Sperrpläne begann 2007, als das BKA auf seiner damaligen Herbsttagung in Wiesbaden die norwegischen Sperren bejubelte. 2008 wurden sie politische Realität, als Stephanie zu Guttenberg deren Ehemann später als für die Telekommunikationspolitik zuständigen Wirtschaftsminister dazu brachte, die Netzsperren „gegen Kinderpornografie“ auf den Weg zu bringen. Ursula von der Leyen, die sich bis dahin als Familienministerin überhaupt nicht um den Missbrauch von Kindern gekümmert hatte, hatte sich schon auf dieses Pferd geschwungen und machte es auch ohne Ressortzuständigkeit zu deren Projekt.

Auf meine Initiative hin nahm sich parlamentarisch erstmals der Unterausschuss Neue Medien Ende 2008 in einem für das BKA vernichtend verlaufenen Expertengespräch des Themas an. Ich selbst wusste nicht nur aufgrund meiner Erfahrungen in der Szene, die später in meiner bekannten Karlsruher Justizposse mündeten, dass es weder den Milliardenmarkt noch das Problem www als Vertriebskanal kinderpornografischen Materials noch die berüchtigte Problematik der ausländischen Server gab.

Allerdings gab es in der SPD- Bundestagsfraktion schon damals heftigen Widerstand gegen meinen Versuch, Zensursula zu kippen. Verantwortlich hierfür waren zuförderst die Familienpolitikerinnen Caren Marks und Kerstin Griese, die sich als Lobby für Netzsperren entpuppten und den zuständigen Berichterstatter Martin Dörmann für das Projekt begeisterten.

Just an dem Tag (5.3.) und zu der Stunde (12.30 Uhr), an dem eigentlich die entscheidende Runde mit diesen und anderen Beteiligten zum Thema anstand, begannen die polizeilichen Durchsuchungen in meinen Büros, in meiner Dienstwohnung und in unseren Privaträumen zum Thema Kinderpornografie. Bekanntlich waren hierzu die Medien vor mir informiert. Es gab so in der SPD nicht einmal eine abschließende Berichterstatterrunde zu „Zensursula“. Dies alles war natürlich genauso zufällig wie ein Lotto 6er.

Egal wie es war. Es wirkte und die bis dahin durchaus gespaltene Fraktion kippte. Dies zu verhindern scheiterte beim Berliner  SPD- Bundesparteitag am 14. 6. Boehning, Mönikes und andere unternahmen dort einen letzten Versuch, den Marsch in die Sperren zu verhindern. Mit einem Tagesordnungskniff wurde dort aber verhindert, dass das Thema aufgerufen wurde. Es war medial unerwünscht, wie die Parteitagsregie um den damaligen Bundesgeschäftsführer Wasserhövel offen zugab. Der Kurs von Dörmann & Co wurde offiziell und mit dem Spruch vom Löschen vor Sperren statt Löschen STATT Sperren abgesegnet (siehe Netzpolitik.org).

Franziska Heine kommentierte damals so bitter wie kurz und knapp via twitter

So! Fertig! Antrag wurde für erledigt erklärt und damit nicht abgestimmt sondern auf die Entscheidung des Parteivorstandes verwiesen!

Damit war in Anwesenheit von Klingbeil ein letzter Versuch von Boehning und Mönikes für „erledigt“ erklärt worden, den Zug der SPD-Lemminge zu Zensursula zu verhindern.In der darauffolgenden Woche gab es Scheinverhandlungen mit CDU/CSU, die sämtliche Forderungen der SPD widerstandslos passieren liess. Sie hatte ihr Ziel der Netzsperren erreicht. Für Dörmann stellte sich dies dann so dar:

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich mit ihrer Forderung nach grundlegenden Änderungen beim Kinderpornografie-Bekämpfungsgesetz in den Verhandlungen mit der Unionsfraktion auf ganzer Linie durchgesetzt (Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion).

Mit dieser ihr heute überaus peinlichen Darstellung merkt aber der LETZTE (hoffentlich auch Klingbeil) , dass sich die SPD Zensursula völlig zu eigen gemacht hatte. Sie rühmte sich damit also sogar noch.

Dennoch gab es noch immer letzte „Widerstandsnester“ in der SPD: Torsten Schäfer-Gümpel schrieb einen weiteren Brandbrief an Partei- und Fraktionsführung mit der Aufforderung, das Gesetz fallen zu lassen.

Vergeblich. Die SPD- Bundestagsfraktion stimmte dem Gesetzentwurf am 16. 6.  2009 in einer sehr emotional geführten Fraktionssitzung zu. Es sollte dann auch meine letzte Fraktionssitzung als Sozialdemokrat sein (Austritt am 20. 6. 2009). Peter Struck forderte mich als Fraktionsvorsitzender zuvor noch lautstark und ultimativ auf, meinen Antrag auf namentliche Abstimmung zurückzuziehen. Vergeblich.

Auf meiner Seite stand in der Debatte argumentativ lediglich der stv. Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber gegen die Dörmänner- und Frauen, was der Korrektheit halber erwähnt werden soll. Die anderen fürchteten sich vor BILD & Co. Lautstark wurde die Aussprache übrigens, es sei am Rande erwähnt, von Mitgliedern des Rechtsausschusses (Stünker und Manzewski) gestört, die schon meine jahrelangen Widersacher beim Hackerparagrafen, beim Urheberrecht und in der „Abhörpolitik“ waren. Sie gehören erfreulicherweise heute dank Wählervotum dem Deutschen Bundestag nicht mehr an.

Meine Argumentation in der SPD-Fraktionssitzung habe ich zusammengefasst dann auch nochmals vor dem Plenum des Deutschen Bundestages in der Debatte zum Gesetz wiederholt (YouTube). Auch hier wird die Emotion dieser Zeit und die Leidenschaftlichkeit der Debatte sichtbar.

Blind und taub gegen Einwände der Experten und die Petenten stimmte die SPD Zensursula nicht nur zu sondern beharrte per Pressemitteilung darauf:

Mit dem am 18. Juni 2009 in 2./3. Lesung beschlossenen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie wird ein wichtiger Beitrag geleistet, um die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet besser als heute zu bekämpfen.

Deutlicher kann man Klingbeils heutiges Bemühen, die Tatsachen nachträglich zu verdrehen, nicht widerlegen. Die SPD – Kurswende kam erst in der Opposition und auch da erst Wochen NACH dem Koalitionsvertrag:

Dörmann nun (im Dezember 2009 – nicht früher):

„Wir wollen die netzpolitische Debatte wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich für eine Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes ausgesprochen, das die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten vorsieht.“

Im Januar 2011 wurde dann im Rahmen der allgemeinen Vernebelungskampagne von der SPD sogar noch einer „draufgesetzt“ . Die Fraktion schrieb:

Fraktionsübergreifend hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Internetsperren wenig effektiv, ungenau und technisch ohne großen Aufwand zu umgehen sind. Internetsperren leisten somit keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornographie und schaffen zudem eine Infrastruktur, die von vielen zu Recht mit Sorge gesehen wird.

Fraktionsübergreifend? Nein! Es gab nur eine EINZIGE Fraktion, die sich zu einer neuen Erkenntnis durchringen musste: Die SPD. In der Union wird das Zugeständnis an die FDP noch heute zähneknirschend betrachtet. Alle anderen Fraktionen von Grün über Links hin zur FDP haben sich gegenüber 2009 in ihrer Haltung nicht verbiegen müssen, lieber Lars Klingbeil.

Mal ganz ehrlich:

Hattest Du bei der Abfassung Deines Beitrages nicht nur ein Weizenbier über den Durst getrunken oder gar etwas geraucht? Das würde ihn wenigstens noch einigermaßen vernünftig erklären …….

7 Gedanken zu „Welche Drogen nimmt Klingbeil?

  1. quiffote

    ‚oder gar etwas geraucht‘ gibt Abzüge in der Haltungsnote,
    ansonsten ist es eine Freude, Sie in der gewohnten Form zu sehen.

    Grüsse quiffote

    Anmerkung tauss: Das ist durchaus ganz freundlicher Netzjargon 😉

  2. Sven Geggus

    Die netzpolitische Geschichte der SPD in den letzen 15 Jahre aufzuschreiben wäre sicher sehr interessant. Von den fortschrittlichen Anfängen (Gründung des VOV, eigene Newsgroup etc.) über den reaktionären Höhepunkt bei Zensursula bis heute.

    Gruss

    Sven

  3. SvB

    Jetzt mal direkt gefragt: Ist es denn auszuschliessen, daß Dörmann und Konsorten nicht nur zufällig aus unserem Gedächtnis entschwinden? Soll die SPD lieber eine Netzignorantenpartei bleiben, nur um die historische Wahrheit nicht zu verfälschen?

    Oder noch direkter: Prügeln wir mit Klingbeil nicht den Falschen? Was er sagt, wird doch nur dadurch so irre, daß er selbst noch in der SPD ist …

    Ansonsten glaube ich sehr wohl, daß der Anteil der Ex-SPD-ler bei den Piraten (noch) recht hoch ist, eben weil jeder, der sich mit offenen Augen im Netz bewegt, die Aktionen der SPD beschämend finden musste. Am Ende machen aber die (echten) Liberalen das Rennen und wir werden die Anteile nicht wissen, weil sie nicht mehr erfasst werden (scnr).

    Anmerkung tauss: Finde Klingbeil ansatzweise sehr sympathisch. Aber Verdrehungen von Tatsachen gehen mir eben schlicht auf den Geist. Nicht nur aktuell bei den Piraten sondern auch bei meinem alten Verein;)

  4. DerDAU

    Gute und sachlich richtige Darstellung der Abläufe. Ein Punkt nur, du schreibst von „Martin Döring …den zuständigen Berichterstatter Martin Döring für das Projekt“ Nur in der 16. Wahlperiode gab es zwar einen Döring, allerdings ist der Mitglied der FDP und heißt mit Vornamen Patrick –> und das die SPD FDP’ler zu Berichterstattern in ihrer Fraktion macht, glaube sogar ich nicht. 😉

    Anmerkung tauss: Es handelt sich natürlich um Martin DÖRMANN . Geht aber dann wohl aus dem weiteren Kontext hervor. Sorry: Das Alter, das Alter 😉

  5. jan.dark

    Lars Klingbeil ist nur ein widerlicher Schwätzer.Er gehört zur Brutalfraktion in der SPD. Er lügt sich die Vergangenheit zurecht und wollte unbedingt ein bisschen Vorratsdatenspeicherung. Das sind die harten Vaterlandsverräter wie der Spinner Struck, der irgendwas am Hindukusch verteidigen wollte, aber zu feige war, die Unfähigkeit seiner Truppe zum Siegen einzugestehen. So wurden dann mit Strucks Halluzinationen über 30.000 Menschen in Afghanistan wegen des NATO-Opiumkrieges getötet (2001 unter Taliban: 150 Jahrestonnen Opium, nach Strucks Intervention mit der NATO dann 2008 8.500 Tonnen Rohopium. Das ist Strucks persönlicher Erfolg, dass die organisierte Kriminalität mit der dreckigsten aller Drogen versorgt wird).

    Die Betonfraktion der SPD, die dem Land nur noch schadet, habe ich schon bei Klingbeil kommentiert. Aber zum Zugangserschwerungsgesetz will ich noch was ergänzen.

    Damals schrieb ich SPD-Justizministerin Brigitte Zypries eine Mail, dass mir völlig unverständlich wäre, warum Kinderpornografie, der Lagerort dem BKA bekannt sei, an Schulen weitergeleitet würde, nur weil die Schule bei einem Provider mit weniger als 10.000 Usern angeschlossen ist, statt sie einfach zu löschen, wenn der Lagerort doch bekannt ist. Zypries erblödete sich, darauf zu verweisen, dass die Schulen doch Filtersoftware hätten. Gleichzeitig aber machte sie ein Gesetz, dass die Weitergabe der BKA-Sperrlisten an Dritte (z.B. Filtersoftwarehersteller) unter Strafe stellte. Ich habe selten eine dümmere, sachfremde Politik gesehen. Selbst der vorbestrafte Manfred Kanther, der in den 90ern dem BKA bekannte Kipos mit einer Suchmaschine finden wollte, die alle Bilder im gesamten Internet durchsuchen sollte, war nicht so blöd.

    Unter dem Strich hat sich die SPD als unfähig erwiesen, Netzthemen zu behandeln, ist aber bei jeder Aktion dabei, den Bürger zu überwachen, auszuspionieren, zu unterdrücken. Noske und Horst Herold sind in dieser Partei fest verankert. Bruatle Sozialhygiene a la Herold und Bomben auf Zivilisten a la Struck. Gewalt gegen die Menschen: das ist das Hauptthema der SPD geworden. Und da will der Klingbeil halt seine Vorratsdatenspeicherung und lügt dabei das Blaue vom Himmel. Ekelhaft.

  6. puz_le

    Es gab außer Dir allerdings noch zwei SPD-Fraktionsmitglieder, die dagegen gestimmt hatten. Ich finde man sollte sie nicht unerwähnt lassen.

    http://www.hatmeinabgeordneterfuernetzsperrengestimmt.de funktioniert übrigens noch. 🙂

    Und 2008 war „KT“ noch nicht Wirtschaftsminister. Meiner Einschätzung nach hat er einfach den von Glos + Schäuble initiierten Gesetzentwurf im Frühjahr 2009 aus der Schublade gezogen. Aber das ist ja jetzt nicht das Thema.

    Anmerkung tauss: Richtig. Es waren Steffen Reiche und Wolfgang Wodarg. Sie hatten sich zwar in der Fraktion nicht zu Wort gemeldet, aber in der Tat dagegen gestimmt. Die Initiative Guttenberg ist belegt, auch wenn er erst 2009 Wirtschaftsminister wurde.

  7. dbg

    5.3. statt 5.9 und dann bestimmt auch 14.3. statt 14. 9.
    Ansonsten … einfach Danke. Und weiter so.

    Anmerkung tauss: Aber ja. Danke. Datum ist jeweils korrigiert. Weiss nicht, wie sich da immer die 9 statt der 3 einschleichen konnte.

Kommentare sind geschlossen.