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Quo vadis Piraten?

Viel wird gegenwärtig von Neuanfang geredet. Bei den Piraten. Der Absturz aus dem realen wie demoskopischen Erfolgshimmel und der harte Aufschlag bei der Niedersachsenwahl tun weh. Ein Erfolg bei der Bundestagswahl ist in weite Ferne gerückt. Nunmehr wird nach Schuldigen gesucht. Für manche sind es „die Berliner“, für andere „der Bundesvorstand“, für Dritte irgendwelche Einzelmitglieder, die wahlweise als Sexisten, Nazis oder Trolle auffallen. Gegen solche Gestalten ist dann sofort der Parteiausschluss oder wenigstens ein internes Schreib- oder Meinungsverbot zu verhängen.

Richtig ist, dass alles davon irgendwie richtig ist. Richtig ist aber auch, dass die Piraten in Zeiten von Lagerwahlkämpfen es schwerer als andere Parteien haben. Niemand der Wähler, die tatsächlich noch wählen, will eine Stimme verschenken. Aus dieser Gruppe fällt es Piraten dann am Schwersten, gar 5% der abgegebenen Stimmen zu generieren. Denn sie wählt weiterhin unerschrocken und im Zweifel immer „taktisch“ oder das für sie kleinere Übel.

Wenn Piraten Erfolg haben und in Parlamente einziehen wollen, müssen sie ihre Stimmen also wieder im Lager der Nichtwähler abholen. Damit leisteten sie der Demokratie auch den wichtigsten Dienst. Um hier zu punkten, wurde allerdings zu viel Porzellan zerschlagen. Denn aus der Bürgerrechtspartei 2.0 des Jahres 2009 wurde eine Mobberpartei 1.0. Und dieses Krebsübel geht tatsächlich, wenngleich nicht allein, von Berlin aus. Hier hat sich eine Gruppierung durchgesetzt, die mit den Grundprinzipien der Piraten so viel zu tun haben, wie die Antifa oder gar Nazis mit Toleranz.

 

 LQFB als sektiererische Heilslehre 

Statt ein demokratie- wie beteiligungsförderndesTool auszuprobieren und dessen Schwächen im Dialog zu beseitigen, wurde Liquid Feedback von dessen Protagonisten zur sektiererischen Heilslehre erklärt. Das Manipulationsinstrument soll nun mittels einer ständigen Mitgliederversammlung ergänzt werden. Die Absicht merkt man wohl und  ist verstimmt. Doch Kritiker wurden systematisch gemobbt. Aber auch weitere Instrumente von Gesinnungsschnüffelei innerhalb der Piratenpartei sind bekannt. Im berlinfernen Baden-Württemberg wird die interne Mailingliste des Landesverbands von Kritikern gesäubert. Rechtsstaatliche Verfahren, Anhörungen oder gar Überprüfungen von Anschuldigungen  sind unbekannt.

Und hierfür trägt auch der Bundesvorstand Verantwortung. Selbst piratige Lichtgestalten wie die zwischenzeitlich zurückgetretene Afelia schauten grinsend zu, wie willkürlich Ausgrenzungen erfolgten. Bundesvorstandsmitglieder (Nerz) gründen eben mal abgeschottete eingetragene Vereine. Der amtierende Bundesvorsitzende Schlömer belog schon ungeniert Vorstand und Basis. Damit fielen aber auch weitere BuVo-Mitglieder auf. Beispielsweise dessen früheres Mitglied Schrade mit der bezeichnenden Eigenbezeichnung „Kungler“. Wirklich interessieren tut dies parteiintern allerdings niemand. Ein funktionierendes System innerparteilicher Klärung und des Rettens in den Brunnen gefallener Kinder existiert nicht.

Sexisten wie der Berliner Abgeordnete Morlang, dessen frauenverachtende Sprüche legendär sind, diffamieren dagegen andere als Sexisten. Der Abgeordnete weigert sich auch beharrlich, seine Nebeneinkünfte offenzulegen. Faschistoides Verhalten darf ihm getrost unterstellt werden. Konsequenzen? Keine. Ein Mitarbeiter der Berliner Fraktion darf den Bundestagskandidaten eines anderen Landesverbandes diffamieren, weil dieser als Strafverteidiger einen Nazi verteidigte. Rechtsstaatliche Grundprinzipien zum Thema Strafverteidigung? Fehlanzeige. Eine weitere Mitarbeiterin wollte eben mal einen Menschen anzünden. Bedauern oder Rücknahme? Fehlanzeige.

Und dies alles sind nur die Spitzen des Eisbergs. Nicht zufällig gehören Berliner Piraten zu den unbeliebtesten Berliner Politikern. Noch hinter dem abstürzenden Wowereit. Das irritierte Publikum ist also informiert, dass Grundsätze der Piraten und deren praktische Politik oft genug diametral voneinander abweichen.

 

Mit dem jetzigen Erscheinungsbild ist kein intellektuelles Potenzial für die Partei zu erschließen

Der Bundesvorsitzende irritiert nun damit, dass künftig verstärkt Köpfe als Piratenrepräsentanten in Erscheinung treten sollen. Dabei sind es aber die genannten Köpfe, welche die Probleme verursachen. Doch Problemverursacher sind selten geeignet, Probleme zu lösen. Und so befinden sich die Piraten in einer permanenten und selbstverursachten Abwärtsspirale.

Aus dieser Spirale wird man sich nur lösen können, wenn der innerparteiliche Stil verbessert wird und sich die Verantwortlichen bei der Basis für die Fehlentwicklungen entschuldigen. Das wäre der letzte große Dienst, welchen der Bundesvorsitzende seiner Partei in Form eines Signals einleiten könnte. Es ist dann egal, ob er vor oder nach einer verkorksten Bundestagswahl zurücktritt.

Einleiten kann der jetzige Vorstand auch einen echten Dialog über die inhaltliche Ausrichtung der Partei. Es ist völlig gleichgültig, für oder gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu stehen. So lange auch hier nicht weiter Sektierertum vor der Sachdebatte steht, könnte dies sogar eine interessante gesamtgesellschaftliche Debatte bewirken. Es ist aber nicht gleichgültig, ob weiterhin schon innerparteilich elementare rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden und nicht mehr im Mittelpunkt der Arbeit der Partei stehen.

Darüber hinaus wäre notwendig, sich intellektuelles Potenzial zu erschließen, um die programmatische Arbeit voranzutreiben. Mit dem jetzigen Erscheinungsbild ist das nicht machbar. Und so wird die Qualität von Anträgen für Parteitage immer unterirdischer. Daran  hat das Manipulationsinstrument LQFB entscheidenden Anteil.

Ebenfalls mit Hilfe externer Fachleute wäre zu prüfen, wie politische Kommunikation im Netz bis hin zu Kompromiss- und Konfliktlösungen erfolgreich funktionieren könnte. Das wäre ein spannendes Projekt für die Partei wie für die Kommunikationswissenschaft und verwandte Disziplinen.Wer dieses Problem löst, wird als Partei in der Informationsgesellschaft vorne sein.

Und am Wichtigsten: Innerparteilichem Mobbing ist entschieden zu begegnen. Hierzu bedarf es entsprechender Beauftragter, die mit Supervision unterstützt werden und von Schiedsgerichten überprüfbare schnelle Entscheidungen bis hin zu Rügen treffen können. Sonst versinkt die Partei im Chaos. Dass in Berlin statt dessen ein Kritiker von Vorgängen, die bereits strafrechtlich relevant sind, statt Aufklärung ein Parteiausschlussverfahren erfährt, ist ungeheuerlich und Ausdruck der Fehlentwicklung.

Diese Punkte anzugehen wird wichtiger sein, als einen weiteren Wahlerfolg zu erzielen. Erst die Europawahl ohne 5%-Klausel wäre dann wieder ein Meilenstein. Wenn die Bundestagswahl vergeigt wird. Worauf alles hindeutet.