Von gekringelten Gurken und Datenschutz

Ich habe der Vizepräsidentin und Justizkommissarin der EU- Kommission in Brüssel, Viviane Reding, zum Thema Bürgerrechte, Datenschutz und EU das nachfolgende Schreiben geschickt:

Sehr geehrte Frau Reding,

ich lasse Ihnen diesen offenen Brief als ehemaliger deutscher Bundestagsabgeordneter mit langjähriger Zuständigkeit (1995 – 2008) für das Thema Datenschutz zukommen.

Sie wollen den europäischen Datenschutz harmonisieren. Gut so. Ihr wesentliches Argument, das ich Ihrem Interview beim Berliner Tagesspiegel entnommen habe, beinhaltet aber kein bürgerrechtliches, sondern allein ein wirtschaftliches Anliegen. Sie haben Sorge, dass Verbraucher „ohne hinreichenden Datenschutz angebotene Dienstleistungen nicht nutzen“. Es geht Ihnen um die „Sicherung der Goldgrube von 560 Millionen Verbrauchern“. Um es klar zu sagen: Ich sehe die Aufgabe der EU- Justizkommissarin nicht darin, der Wirtschaft Goldgruben zu sichern. 

Es wäre schlicht Aufgabe der Wirtschaft, auf gesetzlicher Grundlage Datenschutz auch als Wettbewerbsvorteil für Firmen so zu gestalten, dass Verbraucher Vertrauen haben können. Ihr wirtschaftspolitisches Anliegen sollten Sie also nicht mit vermeintlichem Datenschutz verbinden. Wenn Sie den verbessern wollten, könnten Sie ohne Problem eine neue Richtlinie vorlegen, die in nationales Recht umzusetzen wäre.

Doch sie wollen das stärkste Mittel. Eine europäische Verordnung, die nationales Datenschutzrecht völlig ablöst, weil die Industrie schon lange eine einheitliche Datenschutzregelung für den europäischen Binnenmarkt einfordere. Die 27 teils widersprüchlichen Regelungen, die wir derzeit haben, kosteten viel Geld, Nerven und Zeit. 

Richtig. Aber das war auch die Begründung des Handels für die damalige und zwischenzeitlich ausgesetzte berühmte Gurkenverordnung. Dennoch finde ich bis heute keine gekringelten Gurken. Der Handel hält sich unverändert an die Standards. Warum? Weil sie sinnvoll sind. 

Insofern wäre dies auch beim Datenschutz möglich. Sie setzen Standards, ermöglichen Audits und die Wirtschaft hält sich daran, weil es auch in deren Interesse vernünftig ist. Oder sie hält sich nicht daran: Dann wäre Ihre Aufgabe, hierüber das Verbraucherrecht auf Transparenz zu stärken und unfaire Geschäftsbedingungen zu stoppen.

Kein Verbraucher ist aber daran gehindert, eine krumme Gurke zu essen, wenn er mag. Und kein Verbraucher sollte daran gehindert sein, auf seinen Datenschutz oder auf seine informationelle Selbstbestimmung zu verzichten, wenn er oder sie es mag und darüber informiert ist.

Sie sagen es selbst: 81 Prozent der deutschen Bürger sind besorgt darüber, wie Unternehmen mit deren Daten umgehen. Wenn das so weiterginge, würden diese Bürger streiken und ihre Daten nicht mehr herausgeben. Dann würde es auch eine ganze Reihe von nützlichen Dienstleistungen nicht mehr geben. Und das wollten Sie nicht. 

Mit Verlaub: Was ist das für ein bedenkliches Bild vom (un)mündigen Konsumenten, das Sie da haben? Erneut kommt hier Ihre eigentliche Motivation zum Vorschein. Sie haben Angst davor, dass der Bürger wegen unterlassenen Datenschutzes der Wirtschaft „streikt“. Warum eigentlich? Ginge es Ihnen tatsächlich um Google, müssten Sie davor dann angesichts dieser mündigen Bürger keine Sorge haben. Der Bürger, der sich tatsächlich in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt, kann Google bestreiken. Er muss auch nicht zu Facebook. 

 Dennoch haben Sie jetzt den Entwurf für eine europäische Verordnung vorgelegt. Nochmals: Warum? Sie begründen dies mit dem Argument „Ein Kontinent, ein Recht“.

Wie wäre es, dieses Prinzip „ein Kontinent, ein Recht“  vorrangig an anderer Stelle durchzusetzen? Ich denke z. B. an an die nicht nur in Ungarn gefährdete Pressefreiheit. Wäre es nicht sinnvoller, hier zu beginnen, als ausgerechnet beim durchsichtigen Kampf gegen Google oder gegen die Dienstleistungen sozialer Netzwerke? 

Warum durchsichtig? Weil es der EU-Kommission ansonsten herzlich egal ist, was mit den Daten „ihrer“ Bürger in Europa geschieht. 

Darf ich an SWIFT erinnern, wo die Kommission erst durch das europäische Parlament daran gehindert wurde, Daten beliebig an die USA auszuliefern? Wo bleibt Ihr Protest, dass aber auch das jetzt abgeschlossene Abkommen seitens der USA unterlaufen und missbraucht wird?

Darf ich an das europäische Fluggastabkommen erinnern, wo Ihre Kommission gleichfalls hemmungslos Ihre, unsere, meine Daten ausliefern will? Wo ist die Justizkommissarin, welche den in der europäischen Charta bereits verankerten Datenschutz gegen diesen Ausverkauf schützt?

Bei ACTA und anderen Regelungen waren Sie bereit gewesen, und sind es noch, eine ganze Generation, einschließlich Ihrer eigenen Kinder, bei Verstößen gegen das vermeintliche geistige Eigentum zu überwachen. Wo ist die Justizkommissarin, die ihre Stimme erhebt, wenn junge Europäer deshalb schon heute und ganz ohne ACTA an die USA ausgeliefert werden sollen? Wie gesagt: Hier werden Menschen ausgeliefert- nicht „nur“ Daten.

Wo ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, die Justizkommissarin, die dafür eintritt, der jeglicher demokratischen Kontrolle entzogenen polizeilichen Monsterbehörde, Datenkrake und rechtsfreiem Raum EUROPOL endlich eine solche Kontrolle zu verordnen? Wäre das nicht eines der ersten zu lösenden Probleme des Datenschutzes und der Bürgerrechte? 

Wo ist die Justizkommissarin, die in Europa endlich die Vorratsdatenspeicherung per europäischer Verordnung stoppt? Ganz im Gegenteil treten Sie, auch als Person, für die präventive Überwachung aller europäischer Bürger ein, weil es „eben so beschlossen sei.“  Verfassungsgerichtsurteile und Parlamente interessieren Sie dabei nicht. Sie wollen auch Deutschland zur Umsetzung „zwingen“

Wo ist Ihre kritische Position zu INDECT, jenem europäischen Überwachungsmonstrum, gegenüber dem die Facebook – oder Apple – Gesichtserkennung ein bedeutungsloser Partygag ist? 

Bei allem Respekt: Ich traue dieser Kommission nicht zu, Hüterin der informationellen Selbstbestimmung und der Freiheitsrechte in Europa und dies nicht nur beim Datenschutz zu sein. Ich weiß, dass Sie persönlich gegen Internetsperren sind. Ich weiß nicht, wo Sie in der Vergangenheit Ihrer Kollegin Malmström in den Arm gefallen wären oder sich damit beschäftigten, z. B. französische Sperren zu bekämpfen.

Und aus diesem Grunde sollten Sie sich nicht wundern, wenn es aus Deutschland und hoffentlich aus ganz Europa Widerstand gegen Ihre Verordnung gibt. Dieser Widerstand gilt nicht einem modernen und lesbaren Datenschutz.

Er kommt, weil ich und Millionen von Bürgerinnen und Bürgern DIESER EU in Sachen Bürgerrechte und Datenschutz nicht mehr trauen und ich ihr diese Bürgerrechte NICHT anvertrauen wollen. Hierfür erforderliches Vertrauen hat die Kommission und haben Sie als Justizkommissarin verspielt. 

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Tauss

 

2 Gedanken zu „Von gekringelten Gurken und Datenschutz

  1. Laura Meissner

    … hoffentlich haben Sie den Brief nicht auch wie in Ihrem Blog an „Juliane Reding“ sondern an „Viviane Reding“ adressiert – dann käme er nicht direkt in die große runde Ablage unter dem Schreibtisch. 🙂

  2. Simon Lange

    Guter Brief Jörg, allerdings fand ich die letzten drei Absätze unpassend. Ich hätte konstruktive Vorschläge zur EU Datenschutzverordnung besser gefunden. Die Verordnung im aktuellen Entwurf hat ja auch positive Aspekte. Ich fände es daher wichtiger wenn Du Dein Gewicht auch nutzen tätest konkrete Vorschläge oder Denkanstösse zu geben.

    Ich hätte Dich zb gerne in Hannover auf der privacy BarCamp gesehen. Dort wurde der Entwurf der EU Datenschutzverordnung ausgiebig inhaltlich aber auch strategisch diskutiert.

    Ansonsten (von den letzten drei Absätzen mal abgesehen) stimme ich Dir natürlich zu.

    wink Simon

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