Freitag, 13. November

Roger Lewentz, derzeit Vorsitzender der deutschen Innenministerkonferenz, fand nach Paris schnell die bezeichnenden Worte: „Für Terrorismus und Extremismus ist in Europa kein Platz“. Die Worte des pfälzischen Provinzpolitikers bringen das derzeitige Problem der Terrorismusdebatte unfreiwillig entlarvend auf den Punkt. Hier ist kein Platz. Anderswo also schon?

Tragischerweise starben am 13. 11. in Paris bis jetzt 120 Menschen. Angesichts der Schwerverletzten könnte sich diese Zahl schlimmerweise weiter erhöhen.

Also hat wieder die Stunde der Kämpfer geschlagen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg forderte prompt, „im Kampf gegen den Terrorismus geeint zu bleiben.“ Wer wäre hier zu einen? Wer wäre uneinig? Auch Kanzlerin Merkel, welche mitteilte, um die Opfer zu weinen, sprach sofort in einer ersten Stellungnahme davon, „den Kampf gegen den Terror geeint zu führen.“

Zweifellos ist die Verlockung groß, nach schrecklichen Ereignissen zu größtmöglichen Phrasen zu greifen. Was heißt es aber, den Kampf gegen den Terrorismus geeint zu führen? Bodentruppen nach Syrien? Bisher war immer vom Krieg gegen den Terror und vom Krieg gegen den IS die Rede. Jetzt wird registriert, dass offensichtlich auch der bekriegte IS seinen „heiligen“ Krieg führt.

Richtig ist gleichwohl, dass dem sogenannten islamischen Staat, der wohl auch für die Gräueltat in Paris verantwortlich ist und sich zumindest bereits dazu bekannt hat, vom Westen wie von Russland der Krieg erklärt wurde. Welche Aufwertung eines üblen Haufens! Diese Floskel wird von den bekriegten Kriegern jetzt gerne aufgenommen. Deren in Syrien und anderswo eroberten IS- Gebiete und Stellungen werden bombardiert. Frankreich gehört mit seinen Bomben dazu.

Jenes Frankreich übrigens, das in Libyen ohne Frage nach dem „DANACH“ einen üblen Diktator wegbombte, um so auch dort erst das nötige Vakuum für eben diesen IS zu schaffen.

Und jenes Frankreich, das den IS in Syrien bekämpft. Der französische Premierminister Manuel Valls bezeichnete dies zu Beginn des Eingreifens eine „legitime Selbstverteidigung“, zumal der IS „Anschläge gegen Frankreich vorbereite“. Paris zeigt, dass diese Selbstverteidigung auf Kosten der Menschen des 13. 11. nicht wirklich gut gelungen ist.

Nicht nur Herr Minister Lewentz sollte daher seinen Blick etwas weiten. Der Kampf gegen den Terror hat bislang, nach konservativen Schätzungen der Ärzte gegen den Atomkrieg, mindestens 1,3 Millionen Menschen das Leben gekostet. Die weitaus meisten davon im Irak, Bushs Ausgangspunkt des vermeintlichen Kriegs gegen den Terror. Hunderttausende Opfer in Afghanistan, Pakistan und natürlich in Syrien kommen hinzu. Die USA haben unter der Fahne des Kampfes gegen den Terrorismus gegen ein halbes Dutzend muslimische Länder kriegerische Handlungen begangen.

Wenn es angesichts dieser bedrückenden Zahlen und des täglichen Terrors in den besagen Ländern einer Herausforderung bedarf, dann wäre es eher das Innehalten als erneutes Kampfgeschrei.

Ist und war dieser Krieg gegen den Terror nicht ein katastrophaler Irrweg? Macht nicht vielleicht dieser unser Kampf junge Muslime zu jenen Fanatikern, mit denen sie jetzt im Hurrageschrei vermutlich Gleichaltrige bei einem Rockkonzert abschlachten?

Tausende Maschinenpistolen und -Gewehre wurden allein in den letzten Monaten nach Saudiarabien und die Golfstaaten exportiert, mit denen die Regime (natürlich auch mit eingekauften Flugzeugen und Panzern) Demokratiebewegungen im eigenen Land niederwalzten oder aktuell einen gnadenlosen Kampf im Yemen führen.

Worin aber unterscheiden sich die Kopfabhacker, Auspeitscher und Steiniger des IS eigentlich vom wahhabitischen Gottesstaat Saudi-Arabien, das diesen  nachweislich finanziell unterstützt und mit dem wir so gerne Geschäfte machen?

Und nicht nur das: ISIS wurde als IS- Vorläufer in Jordanien von CIA, britischen, türkischen und französischen (sic!!) Geheimdiensten ausgebildet und bewaffnet. Man ruft jetzt sicher mal wieder nach der Stärkung von Geheimdiensten. Jener Geheimdienste, welche maßgeblich die Geister schufen, die sie jetzt bekämpfen sollen. In der Vergangenheit wurden, wie hierzulande, Geheimdienste ausgeweitet, sobald sie bei deren üblem Tun ertappt wurden.

„Unsere“ Geheimdienste sind unmittelbare Nutznießer und Profiteure des Terrors. Eventuell wäre es ein guter Anfang, diesen Helfern des Todes in Europa das Handwerk zu legen. Tatsächlich werden sie aber wohl einmal mehr zusätzliches Geld und mehr Überwachungsinstrumente bekommen, die sich gegen die gesamte Bevölkerung richten. Justizminister Maas begründete sein Kippen bei der Vorratsdatenspeicherung mit dem Terroranschlag gegen Charlie Hebdo.

Man darf gespannt sein, was nun, nach dieser Nacht in Paris, als nächstes kommt. Die Vorratshaft? Nicht Terroristen gefährden aber unsere Freiheit. Dazu haben sie nicht die Macht. UNSERE Freiheit und UNSERE Demokratie werden dem gegenüber zuförderst von UNSEREN westlichen Regierungen gefährdet. Nicht von Terroristen, deren Terror keinerlei breite Basis hat.

Wer dessen ungeachtet für Terrorismus in Europa keinen Platz sieht, sollte dafür Sorgen, dass dieser außerhalb Europas als mindestens ebenso gefährlich eingeschätzt wird. Terrorismus gefährdet nicht nur westliche Staaten. Über Bomben in Bagdad, in Beirut oder Kabul wird verständlicherweise weniger diskutiert und berichtet als über Bomben und Mörder in unserem Nachbarland Frankreich mit dessen glitzernder und faszinierender Hauptstadt Paris.

Aber nicht nur bei Flüchtlingsdebatten sollte man damit beginnen, endlich über Ursachen zu reden, als neue Kämpfe ohne Siege auszurufen. Das wäre dann aber mehr als das bequeme und wohlfeile Gefasel über den Kampf gegen den Terror.

Frau Merkel behauptete in ihrer weiteren Stellungnahme, „wir“ weinten mit den Franzosen. Ich weine nicht. Denn bei kalter Wut über die tatsächlichen Verursacher kommen mir keine Tränen. Nur viel Mitleid für jene unteren Hinterbliebene, die so völlig sinnlos in Paris ihr Leben ließen. Einschließlich jener Terroristen.