Crazy: Wut aufs Internet

Immer wieder bricht sie durch, die Wut aufs Internet, auf Transparenz, auf das, was sich geändert hat:

…Von der zunehmenden Enthemmung im Internet im Schutze einer tapfer verteidigten Anonymität gar nicht zu reden….

Nicht etwa Fehlentwicklungen beim Schülermobbing oder dergleichen wurden hier beklagt, wobei es Mobbing schon immer gab. Wir nannten es eher Klassenkeile.

Nein: Dieser Satz stammt von keinem geringeren als vom Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Und er sagte ihn anlässlich der Neuwahl des Bundespräsidenten. Was er damit meint, sagt er nicht. Meint er damit die Internetdebatte um Wulff oder Gauck? Auf Antwort wartet der Bürger bei diesem Bundestagspräsidenten vergeblich.Vielleicht lädt ihn die Internetenquete ein, um das zu klären.

Richtig ist wohl die Annahme, dass Lammert zu den Politikern gehört, denen die ganze Richtung nicht passt. Immer weniger ist es möglich, Fehlentwicklungen unter den Teppich zu kehren. Unter ihm und seinem Ältestenrat – nomen es omen – ging es im Bundestag in Jahren keinen Millimeter bei der Bügerbeteiligung voran.

Virtuelle Anhörungen? Nein. Transparent(er)e Ausschussarbeit? Nein. Mehr Nutzung des Internet zur Bürgerbeteiligung? Nein. Gedanken zu auch nur zaghaften plebiszitären Reförmchen? Nein. Die Angst vor dem anonym enthemmten Bürger ist da dann doch zu groß.

Nun trifft sich die Enquetekommission Internet, um sich Gedanken um „Demokratie und Staat“ zu machen.Das Thema: „Strukturwandel der politischen Kommunikation und Partizipation“. Ich schaue es mir an.

Zuvor stelle ich aber fest, dass dieser Strukturwandel zumindest das Parlament nicht erreicht hat. Die „bürgerfreundliche“ Enquete installierte zwar das Beteiligungstool „Adhocracy“. Lieber hätten Lammert und Co, nachdem es schon nicht zu verhindern war, das Cracy mit z wie stupid geschrieben.

Heute beklagt man die mangelnde Beteiligung. Wen wundert‘s? Der Bürger weiß, dass er von diesem Bundestag mit oder ohne Enquete nicht ernst genommen wird. Ein „wunderbares“ und bezeichnendes Beispiel ist ACTA.

Wann wurde der Bundestag vom Bundesjustizministerium unterrichtet? Im März 2010. Wie sah die Unterrichtung aus? Wenden Sie sich an das Justizministerium. Wann wurde ACTA im Rechtsausschuss erstmals behandelt? Suchen Sie es sich aus dieser Liste aus (Auszug):

  1. 2010, 11.30 Uhr – öffentliches Expertengespräch (PDF | 13 KB)
  2. 7. Sitzung am Freitag, 11. Juni 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 15 KB)
  3. 6. Situng am Freitag, 21. Mai 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 19 KB)
  4. 5. Sitzung am Freitag, 7. Mai 2010 – Änderungsmitteilung (PDF | 8 KB)
  5. 5. Sitzung am Freitag, 7. Mai 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 16 KB)
  6. 4. Sitzung am Freitag, 23. April 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 213 KB)
  7. 3. Sitzung am Freitag, 19. März 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 17 KB)
  8. 2. Sitzung am Freitag, 5. März 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 22 KB)
  9. 1. Sitzung am Freitag, 26. Februar 2010, 8.00 Uhr – nicht öffentlich (PDF | 39 KB)

Was aber stand in den Sitzungsunterlagen drin? Geheim. Gibt es weitere Unterlagen? Ja. Hier sind sie (Anmerkung: ohne Link natürlich).

 – Ratsdok.-Nr. 12190/11, KOM(2011) 379 ist in der 31. Sitzung TOP 4 a am 30.9.2011 und in der 34. Sitzung TOP 2 a am 11.11.2011 im Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses  beraten worden. Eine abschließende Beratung hat noch nicht stattgefunden.
– Ratsdok.-Nr. 12193/11, KOM(2011) 380 ist in der 31. Sitzung TOP 4 b am 30.9.2011 und in der 34. Sitzung TOP 2 b am 11.11.2011 im Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses beraten worden. Eine abschließende Beratung hat noch nicht stattgefunden.

– Beide Dokumente waren Gegenstand einer Anberatung im Rechtsausschuss in dessen 68 Sitzung am 30.11.2011 (TOP 31 b).

Wie sah die Anberatung aus? Nicht öffentlich. Inhalt? Vertraulich!

Der interessierte Bürger erhält diese Dokumente statt aus seinem Parlament dann übrigens eher und leichter von einer Uni, z.B. aus Tübingen:

http://eurocrim.jura.uni-tuebingen.de/cms/de/vorgang/230/

Hat nach Kenntnis des Deutschen Bundestages die Bundesregierung das ACTA-Abkommen gebilligt? Die diesbezügliche Frage muss die Bundesregierung beantworten. Nachfrage: Aber der Bundestag muss doch wissen, ob er Kenntnis hat? Diese Frage kann die Bundestagsverwaltung, wie ich Ihnen erläutert habe, nicht beantworten. 

Sollte der Bürger jetzt noch Lust haben, sich mit Kommunikation und Partizipation zu einem Vorgang zu beschäftigen, kann er sich ja an die Enquete wenden. Sofern er dasGlück hat, eine Antwort zu bekommen. Also besser: Die Enquete fragt mal den Bürger nach dessen Erfahrungen. Derzeit wird Geld gesammelt, um IFG-Anfragen zu ACTA weiter verfolgen und Juristen bezahlen zu können. Denn auch das Parlament konnte und wollte da natürlich nicht weiterhelfen:

 Die Unterrichtung des Bundestages war vertraulich, somit kann ich sie Ihnen nicht zur Verfügung stellen.

Die Frage, wie man es mit „Kommunikation“ hält, sollten Bundestagsabgeordnete also nicht an Sachverständige stellen: Sondern an sich selbst. Und deren Verwaltung, die das Geschehen diktiert. Also vor der eigenen Haustüre kehren.

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Crazy: Wut aufs Internet

  1. Jan Dark

    Die Wut aufs Internet wird immer grösser. langsam schleicht sie sich immer tiefer in die Kreise der Konservativen und ganz Rechten. Urbach fängt nach seinen Geheimgesprächen mit Rechten wie Altmaier und Guttenberg an, „Trolle“ aktiv zu bekämpfen (das heisst er zensiert Meinungen, die ihm nicht passen): Sein Rechtsruck macht sich auch in der Propaganda gegen Syrien bemerkbar, wo er Todesopfer unter seinen Freunden beklagt. In Afghanistan hat er offenbar keine Freunde, denn er schweigt als stramm Rechter zu den 100.000 Toten, die unser Krieg dort angerichtet hat.

    Aber der Rechtsruck macht sich mit klammheimlicher Freude auch woanders bemerkbar, wo Tatort-Drehbuchschreiber sich öffentlich beklagen, dass irhe Drehbücher im Internet raubkopiert werden (ich glaube, die galuben den Stuss mit ihren Drehbüchern wirklich).

    Aber auch bei Carta rückt man nach rechts(-aussen). Man jammert über die Nichtdurchsetzbarkeit des Urheberrechts im Internet, zensiert aber fröhlich vor sich hin, wenn einem der Diskurs nicht passt. Bei „Urheberrecht? Ersatzlos streichen!?“
    http://carta.info/42377/urheberrecht-ersatzlos-streichen/
    traut man sich nicht diese beiden Kommentare zu veröffentlichen und man aus der Kommentarfunktion einen redaktionellen Beitrag, um sich mit den Federn anderer zu schmücken, für die man nichts bezahlt.

    1.) Kommentarnummer 3, 12:18
    „Die Diskussionen heute drehen sich meist um das Urheberrecht im Internet (Netzsperren, ACTA, Abmahnwahn, Google als Hilfssheriffs des Polizeistaates, Leistungschutzrecht, etc.). Vielleicht könnten wir daher differenzierter diskutieren.

    Die Abschaffung der Marktwirtschaft im Buchhandel durch Buchpreisbindung scheint sich ja einigermaßen bewährt zu haben. Daher könnte man es wie kurz nach dem Mittelalter, was hier beispielgebend gennannt wurde, auch dabei belassen. Die Literatur schafft es offenbar nicht, compliant zu unserer Wirtschaftsordnung zu werden. Das kann man so lassen, weil die offenbar zu verkrustet ist und nicht weiter schadet.

    Mann könnte sich also auch die Frage stellen, ob wir ausserhalb des Internets alles so lassen wie es ist und nur im Internet das Urheberrecht abschaffen.

    Der Empirik von Höffner sollte man Empirik entgegensetzen udn nicht wilde Spekulation. Wilde Spekulation ist volkswirtschaftlich zu teuer (Lehman, Griechenland, Euro-Zockerei, Bankenrettung auf Kosten der Steuerzahler statt der der zockenden Eigentümer etc.).

    Hauptproblem bei der versuchten Durchsetzung des Urheberrechtes im Internet ist, das es bisher nicht gelingt. Wir versprechen als Gesetzgeber und Souverän etwas, was wir nicht liefern könenn. Und wir verschließen die Augen von Nichtmachbarkeit (so wie wir sie demokratisch auch bei der Atomenergie verschlossen hatten, bis uns die Kraftwerke um die Ohren fliegen und die Empirik uns zwingt, unsere Kinder nicht als Strahlenopfer zu Zombies werden zu lassen).

    Zu den Geschäftsmodellen: die Bemerkung zum Grundgesetz halte ich für die typische Verweigerungshaltung, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Geschäftsmodelle kommen in den Grundrechten nicht vor. Es ist also grober Unsinn, da was zu konstruieren.

    Besser wäre es, endlich der Realität ins Auge zu sehen (statt zynisch abzulenken und den Diskurs lächerlich zu machen: Google, Facebook, Amazon, Apple und viele andere haben funktionierende Geschäftsmodelle im Internet gefunden. Google finanziert sich wie Sat1 über Werbung. Nur die Urheber lassen es zu, dass ihre Vertreter aus der Verwertungsindustrie im Gestern verharren und statt der Marktwirtschaft den Polizeistaat fordern. Warum lassen die Urheber das mit sich machen? Versuch um Versuch dieser Ewiggestrigen wird politisch durch das Volk gekippt: Netzsperren, ACTA, Abmahnwahn und der ganze Ostblockwahn.

    Wenn die Urheber so weiter machen, werden sie nicht nur das Urheberrecht im Internet verlieren sondern völlig. Weil sich ein ganzes Volk nicht wegen einer winzigen Gruppen in den Polizeistaat drängen lässt.

    Entweder die Urheber machen rationale, empirisch gesicherte Vorschläge für Geschäftsmodelle oder sie laufen Gefahr, dass das Urheberrecht im Internet ganz verschwindet. Wie die Atomenergie und die Heizer auf E-Loks.“

    2.) Kommentarnummer 4 12:23
    „@2 Wo ist eigentlich die Stimme der Selbstverleger beim Leistungsschutzrecht? Wo sind die Forderungen, dass konservative Pressekonzerne bei strengen Bußgeldern (250.000€+) gezwungen werden, bei Zitaten von Bloggern oder Online-Selbstverlegern Lizenzgebühren zu zahlen? Bisher sieht es so aus, als wenn die Bundesregierung einseitig ein Leistungsschutzrecht für Konzerne einführen will, deren Hauptmerkmal es ist, dass ihnen Druckerpressen gehören. Um Leistungsschutz geht es bei der geplanten Abzocke nicht. Das sieht eher wie eine Kriegserklärung für einen asymmetrischen Krieg aus, den die Bundesregierung nicht mal mit Milliardenaufwand in Afghanistan gewinnt.“

    Soviel freier Diskurs ist den „Kreativen“ zu gefährlich. Wie in Iran und China 🙂 Stramm rechts und das Gestern betonieren. Wie bei ACTA.

  2. Jan Dark

    Ich habe für mich den Schluss gezogen, dass Leute wie Lammert, Struck, Doro Bär, Peter Altmaier aber auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und viele andere nicht dialogfähig sind und die immer die harte Keule brauchen: unter Online-Petition oder tausenden Demonstranten interessiert die der Bürger nicht.

    Beim Zugangserschwerungsgesetz haben wir es gesehen: es macht diesen armen Menschen nichts aus, die eine Woche so zu stimmen und die andere Woche das Gegenteil. Die begründen das nicht mal mehr.

    Man sollte also nicht zu viel Dialog mit denen suchen. Die wollen nicht. Wenn sie ordentliche Politik machen ist es OK, wenn nicht bekommen sie Druck. Für ACTA, Leistungsschutzgesetz, Kinderpornografie nur hinter weit sichtbaren roten Vorhängen für ihr Wählerklientel aus dem katholischen Klerus, Vorratsdatenspeicherung (und andere Formen der Totalüberwachung) und anderen undemokratischen Dreck werden die sich andere Bürger suchen müssen.

    Man sieht ja, dass Leute wie Doro Bär und Peter Altmaier wie bei der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht auf den Boden unseres Grundgesetzes zurückgeholt werden müssen. Von alleine wollen die sich nicht mit unserer Demokratie anfreunden.

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