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Der böse Datenschutz

Ja. Es gibt auch doofe Datenschützer. Der von Hamburg und die Verpixeler gehören für mich dazu. Einmal mehr gleitet aber eine von Julia Schramm begonnene Debatte zum Thema Datenschutz allseits in plumpe Polemik und ins Persönliche ab. Verbunden wird dies mit aufgeregten Verschwörungstheorien um vermeintliche oder tatsächlich DDoS-Attacken der bösen anderen Seite auf die Flaschenpost, einer wichtigen Piratenpublikation.

Und das Böse wird klar identifiziert: Datenschutz, als „Feigenblatt der bestehenden Verhältnisse“ (Zitat Schramm aus dem umstrittenen Artikel „Nach dem Datenschutz“). Gehört das gläserne Mobil (Foto) der Piraten verschrottet?

Man schüttelt einmal mehr verwundert den Kopf. Dieser Beitrag liefert erneut keinen Ansatz oder einigermaßen fundierten Unterbau für eine vorwärtsgerichtete Datenschutzdebatte zum gläsernen Bürger. Vielmehr wird mit dem Habitus der „Moderne“ ein weiterer Rundumschlag eingeleitet, der dann erwartungsgemäß zu heftigen Gegenreaktionen führte. Weiterlesen

Spackeria & Datenschutz

„There was of course no way of knowing whether you were being watched at any given moment George Orwell, 1984

Die derzeitige aufgeregte Spackeria- Julia Schramm – Debatte ist weit mehr als ein weiterer Abklatsch der monatelangen aufgeregten Diskussion um Herrn Zuckerbergs tatsächliche oder vermeintliche Äußerungen zur Post-Privacy, wonach das Zeitalter des Datenschutzes endgültig vorbei sei.

Richtig ist: Was ich ins Netz einstelle ist erstmal drin. Was ich veröffentliche, ist ähnlich einer Tätowierung meine persönliche und kaum korrigierbare Entscheidung. Meine Vergangenheit ist Teil meiner Person. Selbstverständlich darf unter Wahrung der Unschuldsvermutung und der Verhältnismäßigkeit meine Vergangenheit für oder gegen mich verwendet werden. Das gilt im „wahren Leben“ wie im Netz, das ja auch nur ein Teil meines realen Lebens ausmacht. Wer außer er selbst und seine Fangemeinde hat beispielseise ein Problem damit, dass Herr zu Guttenberg von seiner Vergangenheit auch digital eingeholt wurde?

Gut so, dass es nicht nur in diesem Fall keinen digitalen Radiergummi gab. Insofern verwundert dieser Teil der Kritik an der Spackeria, sie ignoriere diese Irreparabilität. Man kann Vergangenheit so wenig abschütteln wie die eigene Haut. Egal ob sie jugendlich pickelig, glatt, straff oder verwelkt daherkommt. Insofern brauche ich auch keinen digitalen Radiergummi.

Die Gefahr, dass ein Personalchef sich über die Bewerbung einer Person wundert, über die er nichts aber auch gar nichts im Netz findet, ist wohl ungleich größer als die Gefahr, dass uralte Partyfotos gegen einen verwendet werden. Ungeachtet der Tatsache, dass sich wohl über viele Personalchefs schon heute und spätestens in einigen Jahren alles mögliche im Netz finden lässt.

Die Frage ist doch nicht, was man über jemanden findet, sondern bestenfalls welche Schlüsse Dritte mit welchen Folgen für mich daraus ziehen können. Zu debattieren wäre, wie man sich gegen diese Schlüsse im Fall des Falles besser wehren könnte. Das Kunden – Scoring bei Kreditvergaben oder bei der Schufa sind hierfür gute Beispiele. Sie räumen gleichzeitig mit dem Spackeria- Irrtum auf, alles sei gut, sobald nur alle Daten umfassend frei zur Verfügung stehen.

Da hilft mir auch der achselzuckende wie richtige Hinweis von Jörg Rupp nicht weiter, dass er den umfassenden Datenschutz, der teilweise eigefordert wird, gerade für Social Networks bzw. das “Internet” für völlig abstrus hielte.

Das ist ein Irrtum. Denn natürlich sind Persönlichkeitsrechte gefährdet, wenn unsere verschiedensten Daten, die für sich allein betrachtet belanglos sein mögen, irgendwo zentral zusammengeführt und miteinander verknüpft werden. Daraus können Konsequenzen bis hin zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz entstehen. Hier wird Datenschutz tatsächlich zum notwendigen Persönlichkeitsschutz.

Nun habe ich aber auch noch keinen Spacko getroffen, der diese Gefahr wirklich leugnet. Auch nicht die Tatsache, dass es auch im Netz wie außerhalb des Netzes natürlich auch ehrverletzende Beschreibungen und Mobbing von Personen gibt. Eine Art Gegendarstellungsrecht bei Google hielte ich hier durchaus für sinnvoll.

In drei wichtigen Punkten hat die Spackeria um Julia Schramm dessen ungeachtet allerdings völlig recht:

Es bedarf in der Tat einer Debatte über das künftige Verhältnis von Datenschutz und Gesellschaft und es gibt eine Erosion der informationellen Selbstbestimmung

  1. Der alte Datenschutz ist in den 70igern (nicht in den 80igern, liebe Julia Schramm) entworfen worden. Der Datenschutz in dieser Zeit hatte tatsächlich wenig mit den Herausforderungen der heutigen Zeit zu tun.
  2. Es gibt tatsächlich politische Tendenzen, den Datenschutz zu einem Instrument umzugestalten, das Freiheitsrechte potenziell gefährdet.

Der nun ausgebrochene Streit über solche selbstverständlichen Erkenntnisse erinnert mich allerdings an die berühmte Szene aus „Das Leben des Brian“ . Dort appelliert Brian an die Volksfront von Judäa und die Kampagne für ein freies Galiläa: Aber kämpft doch nicht gegeneinander. Wir müssen vereint sein gegen den gemeinsamen Feind. Alle: Die Judäische Volksfront!!! Brian: Nein, nein, die Römer! Alle: Achsoo. Beide Gruppen bringen sich dann gegenseitig um und die Römer schauen kopfschüttelnd zu.

Der gemeinsame „Feind“ in diesem Sinne sind für mich jene, die den gesetzlichen Datenschutz in Deutschland über Jahrzehnte verlottern ließen, um ihn heute ausgerechnet in den social networks oder bei dem Recht auf Verpixelung von Gebäuden (sic!) durchsetzen wollen. Sie würden grinsend und nicht kopfschüttelnd zusehen, wenn sich Netzaktisten und Datenschützer gegenseitig „umbringen“ und schwächen.

Der Feind heisst bei aller berechtigten Kritik nicht facebook, streetview, google oder auf der anderen Seite Datenschutz. Ich kann mich einer anderen Suchmaschine bedienen oder mich auch aus den Networks zurückziehen. Aus dem Überwachungsstaat der Schilys, Schäubles, de Maizierés und Zimmermanns kann ich das aber nicht. Christian Heller forderte deshalb kürzlich zu Recht, Datenschutz solle in Bezug auf staatliche Repressionen statt auf Firmen wie Google oder Facebook hin gedacht werden.  Da ist viel Wahres dran.

Denn die Notwendigkeit gesetzlicher Veränderungen beim Datenschutz begründet die Bundesregierung eben nicht mit Freiheitsrechten. Sie hat banalere Sorgen, wie ausweislich von carta eine reichlich dümmliche Frage des letzten Bundesinnenministers bewies: “Kann ich mich darauf verlassen, dass derjenige, der mir eine E-Mail schickt, auch derjenige ist, der er vorgibt zu sein? Kann ich mich darauf verlassen, dass derjenige, der mir mit der gelben Post einen Brief schickt, derjenige ist, der er vorgibt zu sein?

Interessanter für mich als Staatsbürger wäre doch die Frage an die Bundesregierung, ob sie sich darauf verlassen kann, dass Bank- oder Fluggastdaten in den USA sicher sind. Oder weshalb sie an dem Weg in den Präventionsstaat weg vom Rechtsstaat festhält, wie auch die ständigen Vorstöße zur Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten belegen.

Wichtig ist für Union und war früher für Otto Schily allein die Bekämpfung des Internets- nicht der Datenschutz der Bürger. Anonymität darf es laut Union oder früher Schily im Internet nicht geben. Selbst längst selbstverständliche Pseudonyme  sind den Herrschaften mehr als suspekt. Statt dessen wollen sie ein Recht auf Häuserverpixelung. Doch Fotos von Häusern sind nichts gegen die Vorratsdatenspeicherung. Facebook ist nichts gegen SWIFT. Und Google nichts gegen Indect oder Netzsperren.

Die politische Verlogenheit in Sachen Datenschutz findet man im Netz gut dokumentiert vor. So sagte Ministerin Aigner zur Facebook-Problematik: „Gerade weil besonders jungen Nutzern meist nicht bewusst ist, dass ihre persönlichen Profile zu kommerziellen Zwecken genutzt werden sollen, kommt Unternehmen wie Facebook eine besondere Verantwortung zu.“

Ein US- Unternehmen ist eben schön bequem weit weg. Doch nur ein Jahr zuvor hintertrieben Union gemeinsam mit der SPD die hierzulande möglichen Reformansätze, als es beispielsweise beim sogenannte Listenprivileg um die Abschaffung der Verwendung personenbezogenen Daten zu Zwecken der Werbung, Markt- und Meinungsforschung ohne Einwilligung der Betroffenen ging. In Deutschland dürfen diese Daten auch weiterhin ohne Zustimmung Betroffener weitergegeben werden. Wo waren damals jene Unionisten, die sich heute über facebook aufregen?

Schon der nun wirklich halbherzige wie populistische Versuch Schäubles (!), hier nach den Datenschutzskandalen (Telekom, Bahn, Lidl etc.) im Jahre 2009 zu einer Änderung zu kommen, scheiterte an der Union und einer gleichgültigen SPD, die mir „Radikalität“ vorwarf und die in vielen Jahren entstandene Datenschutzposition und mich über Bord warf.

Für die CDU- Dame und Datenschutzberichterstatterin Beatrix Philipp war dieser Sieg der Lobbyisten über die Datenschützer zynischerweise der „beste Beweis für eine gelebte Demokratie.“

Statt sich also endlich an eine überfällige Modernisierung des BDSG und des Datenschutzes und die überfälligen Hausaufgaben zu machen , entdeckte die neue Bundesregierung nun mit ihrem Gesetzentwurf Datenschutz im Internet – Schutz vor besonders schweren Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht das Web 2.0 als  eigentlichen Gefährder des Datenschutzes.

Dieser umfassende Datenschutz wird heute also von jenen gefordert, die sich zuvor nicht um das Thema kümmerten und für die der Datenschutz schon immer Täterschutz war. Und da sollten nicht nur Spackos misstrauisch werden.

Kleiner Exkurs zu den vertanen Chancen

Das Datenschutzkonzept entstand zu einer Zeit, als noch viele „Operator“ in weissen Gewändern und abgeschottet vom Rest des Betriebs die damaligen „Hollerith-Maschinen“ bedienten. Sie schoben auf Hubkarren Paletten mit Lochkarten hin- und her, die zuvor von fleissigen Locherinnen angefertigt wurden. Von der Rechenkapazität, das heute ein Handy aufweist, war man Lichtjahre entfernt. Es gab dennoch die ersten kritischen Computerdiskussionen, 1977 erste Datenschutzgesetze und Jahre später dann die Volkszählung nebst Urteil. Und dieses Urteil ist noch immer Gold wert. Auf ihm basiert das vom Bundesverfassungsgericht verankerte Grundrecht einer informationellen Selbstbestimmung und später das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Zur Vermeidung weiterer Missverständnisse täte die Spackeria gut daran, sich gerade dann zu diesen Grundrechten zu bekennen, wenn man weiß, dass das BDSG heute hinter diesen Ansprüchen weit hinterher hinkt. Das allerdings wissen die Datenschützer nicht erst seit Schramms Erkenntnis, wonach es eine Bigoterie des Staates sei,  ein Datenschutzgesetz zu stricken, aber anonymes Surfen nicht zu fördern. Äpfel mit Birnen werden hier nur insoweit verglichen, als vom Surfen in Datennetzen die Datenschützer der 1. Generation gar nichts wissen konnten.

Dass die Datenschutzreformen wie deren Bekämpfung aber eine lange Tradition haben, zeigt ein Papier aus 1998, das ich zusammen mit Ute Vogt zur Reform des Datenschutzes (Eckpunkte) vorgelegt hatte. Damals schrieben wir:

…Angesichts der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des Datenschutzrechts sollte im Interesse von datenverarbeitenden Stellen und Nutzern eine erhebliche Vereinfachung und Verschlankung des Datenschutzrechts im Vordergrund stehen…

…Dies darf jedoch nicht zu einer Aufweichung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte oder zur Einschränkung oder Abschwächung bewährter Verfahren des Datenschutzes führen. Eine Vereinfachung und Verschlankung erweist sich aber vor allem deshalb als notwendig, um zu widerspruchsfreien, einheitlichen, praktikablen und vor allem auch verständlichen Regelungen zu gelangen….

…Eine große Bedeutung kommt den Möglichkeiten des Selbstschutzes für den einzelnen Nutzer zu. Dazu bedarf es insbesondere der weiteren Entwicklung von Selbstschutzinstrumenten (z.B. Digitale Signatur, Verschlüsselungssoftware)…

Anmerkung: Hintergrund war damals die Krypto Debatte und die von den USA verlangte Schlüsselhinterlegung (key recovery).

…Die Möglichkeiten der Nutzer zum Selbstschutz durch kryptografische Verfahren darf rechtlich nicht eingeschränkt werden. Eine Einschränkung der freien Verwendung solcher Verfahren kann bei einer Abwägung von Nutzen und Schaden nicht gerechtfertigt werden und wäre verfassungsrechtlich bedenklich…

…Grundlegende Bedeutung kommt der pseudonymen Nutzungsmöglichkeit der neuen Dienste als Mittel des Selbstdatenschutzes zu, die gefördert werden sollte. Mit einer pseudonymen Nutzungsmöglichkeit werden die personenbezogenen Daten zwar nicht reduziert, jedoch wird damit die Zurückverfolgung der gespeicherten und verarbeiteten Daten zu einer tatsächlichen Person wirksam verhindert – außer im Streitfall. Dies ist der wirksamste Weg, um Mißbräuchen mit personenbezogenen Daten vorzubeugen, die in den Datennetzen anfallen. Allerdings setzt dieses Instrument eine Infrastruktur zur Ausgabe, Verwaltung und Aufdeckung von Pseudonymen voraus, die nach Prinzipien des Systemschutzes organisiert sein sollte…

Ende der Zitate

2001 gab es einen erneuten Anlauf. Im Auftrag des BMI wurde ein Professorengutachten (Bitzer, Garstka, Rossnagel) zur Reform des Datenschutzes in Auftrag gegeben.

Doch auch diese Arbeit verschwand in der Versenkung, weil für Schily in praktischer Weise der Anschlag vom 11. September auf das New York WTC dazwischen kam und er seine Antiterrorgesetze auf den Weg bringen konnte. Das Gutachten erhielt deshalb noch nicht einmal eine Bundestagsdrucksachennummer und erreichte nie den Innenausschuss. Auch die Grünen unter deren damaligen innenpolitischen Sprecher und heutigen Vorsitzenden Cem Özdemir hatten keinerlei Interesse daran, endlich das Projekt Datenschutzreform anzugehen.

Julia Schramms Kritik, es sei eine „Bigotterie des Staates, ein Datenschutzgesetz zu stricken, aber anonymes Surfen nicht zu fördern“, trifft  zu. Allerdings wurde über Jahre hinweg schon das Stricken unterbunden. Und zwar nicht aus Bigottterie, sondern aus klar erklärter politischerAbsicht. Auch die Bundesländer wollten nicht. Kurt Beck erklärte klipp und klar: Aus Sicht der SPD-regierten Länder bestehe kein Handlungsbedarf.

Der Datenschutz ist tot. Es lebe der Datenschutz

In dem Moment, in dem ich mich zu Hause bei Facebook anmelde, liefere ich mich dem Kontrollverlust aus. Deshalb gebe es nur zwei Möglichkeiten, sagte Schramm zur Nachrichtenagentur dpa: „Entweder ich akzeptiere das oder ich lasse es und halte mich fern.“

Warum so eine schwarz-weisse Betrachtung?

Warum sollte ich mich nicht in dem einen oder anderen Bereich „outen“ können, um aber in anderen Teilen gesetzlich abgesichert und mittels Datenschutz durch Technik anonym zu bleiben oder wenigstens mein Pseudonym einzusetzen?

Oder als weitere Stichworte Datenvermeidung und anonyme Bezahlsysteme. Stellte das gerade in der Zeit des biometrischen Personalausweises eine „Überregulierung“ oder gar staatliche Repression dar? Nein.

Deshalb sollten die Spackos nicht das Ende des Datenschutzes ausrufen, sondern mithelfen, dass ein moderner Datenschutz endlich auf die politische Agenda kommt.  An Bemühungen hierzu hat es jedenfalls nicht gefehlt. Es wäre allerdings verfehlt, nun ausgerechnet die Folgen unterlassenen politischen Handelns dem Datenschutz anzulasten.

Der Datenschutz ist tot. Es lebe der Datenschutz. Mit dieser abgewandelt abgedroschen Weisheit könnte ich als Ausgangspunkt der weiteren Debatte gut leben.

Einige Links zu weiteren Artikeln zum Thema, die ich mit Interesse gelesen habe:

Thomas Stadler lawblog:  http://www.internet-law.de/2011/04/das-datenschutzproblem.html/comment-page-1#comment-7897

Jörg Rupp (Grüne) zu Post-Privacy http://joergrupp.de/post-privacy/

Marina Weisband http://www.marinaslied.de/?p=541

Spacko fasel: http://spackeria.wordpress.com/

Tim Schmidt: http://www.blogs.uni-osnabrueck.de/web20/2011/03/20/post-privacy-der-andere-und-die-datenschutzkritische-spackeria/

Jörg Tauss zur Reform des Arbeitnehmerdatenschutzes: https://www.tauss-gezwitscher.de/?p=1289

../.. Für weitere Tipps dankbar 😉