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Augsburg und der Präventionsstaat

Dass die bayerische Justiz eine ganz besondere Justiz ist, weiß man nicht erst seit dem Fall Mollath. Dass Justiz und CSU eng zusammenwirken und vor allem zusammenhängen, zeigt auch der jüngste Fall der Durchsuchung von Redaktionsräumen der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

Die Polizei hatte am Montag laut einem Bericht der Zeitung bei dem Verlag die Daten eines Internet- Forennutzers beschlagnahmt (siehe auch Main-Post).

Zur Vermeidung der angeordneten polizeilichen Durchsuchung gab die Zeitung die Daten des „Beleidigers“ zur Offenlegung des Pseudonyms nach ursprünglicher Weigerung heraus. Schade. Man hätte den offensichtlichen Skandal durch weniger Willfährigkeit gegenüber der Staatsgewalt redaktionsseitig noch steigern können und Deutschland wäre in der offiziellen internationalen Statistik der Pressefreiheit (derzeit Platz 17) noch ein Stück weiter nach unten gerutscht.

Ausgangspunkt war, dass sich irgendein Herr Ullrich, kommunaler CSU-Beamter (Ordnungsreferent, sic!) und potenzieller Bundestagskandidat seiner Partei auf den Schlips getreten fühlte. „Rechtsbeugung“ sei dem armen Mann in einem Chatroom unterstellt worden, behauptete der mit der Beleidigungsanzeige befasste Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai. Wie furchtbar.

Diese staatsanwaltschaftliche Figur erwirkte beim Amtsgericht daher einen Durchsuchungsbefehl, weil „Chatrooms kein rechtsfreier Raum“ sein dürften. Intellektuell scheinen bayerische Oberstaatsanwälte nicht nur mit rechtsfreien Räumen, sondern bereits mit dem Begriff Chatroom überfordert zu sein. Der Unterschied zu einem Forum ist zumindest in der Augsburger Strafjustiz offensichtlich unbekannt.

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein „Ordnungsreferent“ fühlt sich in einem nicht vorhandenen Chatroom beleidigt und im Deutschland des Jahres 2013 suchen Polizisten deshalb Redaktionsräume einer Zeitung heim. Über diesen Vorgang ist zu reden. Nicht über diese alberne Augsburger Figur Ullrich.

Dass ein Amtsgericht diesen Durchsuchungsbefehlsantrag dann überhaupt zur Kenntnis nimmt und ihn dem Herrn Oberstaatsanwalt nicht schallend um die Ohren haut, ist der weitere Skandal. Das vielstrapazierte Wort darf man in diesem Zusammenhang benutzen.

Es zeigt sich einmal mehr, dass die berühmte „richterliche Weisung“, auf die ja von Vorratsdatenspeicherung bis zum Staatstrojaner von deren Protagonisten so heuchlerisch wie treuherzig gerne verwiesen wird, nicht einmal das Papier wert ist, auf der sie in Gesetzen steht. Der durchschnittliche Amtsrichter unterschreibt ALLES, und sei es staatsanwaltschaftlich noch so obskur begründet. Wenn eine Amtsrichterin bereits so wie im Falle Ullrich reagiert und Polizei in Marsch setzt, mag man sich gar nicht ausmalen, welche Durchsuchungs- und Überwachungsbefehle hierzulande auch sonst noch aus Jux und Tollerei von Richter(inne)n unterzeichnet werden.

Es wird Zeit, im Präventions- und Überwachungsstaat Deutschland verstärkt Polizei und Justiz auf die Finger zu sehen. Vertrauen ist jedenfalls keines angebracht. Rechtsstaat sieht anders aus.