Das trübelsche Problem: Kopf Tisch Kopf Tisch

Ich hatte eigentlich einen schönen Morgen. Gattin und Mamsell waren gut gelaunt. Ich öffnete fröhlich ein frisches Glas Mirabellenmarmelade. Dann twitterte mir der bayerische Landesvorsitzende Dieter Janecek nachfolgenden Beitrag in der Frankfurter Rundschau unvermittelt zu und damit einen Tag (!) vor den Anti-ACTA-Aktionen jegliche gute Laune weg. Dieser Gastkommentar (schlimmer schafft es bestenfalls der in den Krieg ziehende Heveling) erfordert eine gründliche Entgegnung, die nicht frei von Polemik sein kann: Zitate sind jeweils eingerückt.

Helga Trüpel: Gegen ACTA – aber was dann? Ein Freiheitsbegriff, der ohne Verantwortung gedacht ist, beschädigt die kulturelle Vielfalt.

Werte Frau Trüpel, man liest und staunt:

Netzaktivisten mögen es gern drastisch und haben für ihre Stopp-ACTA-Kampagne das Bild einer alles verschlingenden Krake bemüht. Dabei handelt es sich bei ACTA (Anti-Counterfeitung Trade Agreement) lediglich um ein Handelsabkommen, das internationale Standards gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etablieren möchte.

Soweit Ihre Meinung, Frau Trüpel, immerhin grüne (!) Abgeordnete im Europa-Parlament und Vizepräsidentin des dortigen Kulturausschusses. Offensichtlich ist an Ihnen die Debatte inhaltlich jedoch völlig vorübergegangen. Wie käme eine Abgeordnete des europäischen Parlaments, der ohne illegalen Download alle Informationen zur Verfügung stehen, sonst zu solchen Erkenntnissen?

Wer jetzt aber den Untergang des freien Internets beschwört, sollte auch sagen, dass ACTA hierzulande gar keinen Umsetzungsbedarf erzeugt, weil Deutschland hier schon das Gesetz erfüllt.

Warum bitte brauchen wir ein Abkommen, das doch eigentlich gar nichts ändert? Richtig, Frau Trüpel. Deutschland erfüllt das Gesetz. Und genau das ist das Problem. Inhalte sind in unserem Land nicht verfügbar, wenn und weil dies Gatekeeper wie die GEMA verhindern. Und sie verhindern es sogar gegen viele Urheber selbst. Und genau das zementiert ACTA.

Es geht entgegen Ihrer Annahme nicht um die notwendige Diskussion zur Ausgestaltung von Kultur und auch nicht allein um die jahrelange  „Geheimhaltung“ der Verhandlungen, die Sie auch (berechtigt) kritisieren. Wenigstens dieses Problem ging an Ihnen nicht spurlos vorüber.

Doch mit Verlaub: Das kennen wir nicht anders. So wurden und werden aber auch alle Urheberrechtsfragen im EP behandelt. In Nacht und Nebelaktionen. In der Kommission wie im Parlament haben die Urheberrechtslobbyisten das Sagen. Ihr Protest dagegen muss mir in den letzten Jahren entgangen sein.

Wir haben es mit einem Konflikt zu tun, der ganz Europa umtreibt. Mit der Internet-Entwicklung der vergangenen zehn Jahre ist es für viele Verbraucher selbstverständlich geworden, an Informationen, gemeinfreie Inhalte, aber auch an urhebergeschützte Inhalte frei zu gelangen, frei nicht nur im Sinne einer Freiheit von politischer Zensur, sondern auch frei von Bezahlung.

Auf welchem Planeten leben Sie? Das Märchen von der Kostenloskultur höre ich vom Springervorstand  bis hin zum Börsenverein des Deutschen Buchhandels, welche auch mit Brechstangen ein Zurück in die analoge Welt erzwingen wollen. Die Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte ist so hoch wie noch nie.

Gerade eine Kulturpolitikerin sollte sich auch mal mit Fakten zu ihrer Arbeit auseinandersetzen. Jene, die vermeintlich „illegal“ downloaden, und damit in der Regel lediglich ihr Recht auf Privatkopie wahrnehmen, sind in Wahrheit oft die besten Kunden der Musikindustrie. Auch das könnte man nachlesen. Oder Sie wollen eben doch die Schulhöfe kriminalisieren.

Das muss die Kreativen, Künstler und Medienschaffenden, die von ihrer geistigen und kreativen Arbeit leben wollen, massiv stören und das tut es auch. Wenn sich Künstler für Creative Commons entscheiden und ihre Werke gratis zum Download oder zum streamen anbieten, ist das völlig in Ordnung. Es ist aber überhaupt nicht in Ordnung, wenn es gegen den Willen der Urheber geschieht.

CC gegen den Willen des Urhebers? Ganz offensichtlich ist auch CC, das gerade auf einem selbstbestimmten modernen Urheberverständnis basiert, Ihrer Vorstellungswelt völlig fremd. Mal ehrlich: Wer kam auf die Schnapsidee, Sie zur Kulturpolitikerin zu machen? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Heute wird das alte analoge Urheberrecht von Nichturhebern wie den Verwertungsgesellschaften auch gegen den Willen der Urheber durchgesetzt.

Studierende haben selbst in Unibibliotheken oft keinen digitalen Zugang zu Wissen, weil dies Verlage prozessual verhindern.

Schüler haben keinen online- Zugang zu Lehrstoff, wenn sie zu Hause sitzen. Lehrer sollen belangt werden. Schultrojaner überwachen sie künftig nach den Vorstellungen der von Ihnen vertretenen Lobby. Ab 2013 soll nach deren Willen die letzte minimale Schranke zugunsten von Bildung und Wissenschaft im Deutschen Urheberrecht fallen (§ 52a UrhG).

Es ändert sich nichts? Es muss sich etwas ÄNDERN ! Verlassen Sie einfach mal Ihren Brüsseler Elfenbeinturm und nähern Sie sich der Realität. Es ist erschütternd, dass nicht nur ACTA sondern auch sonstige jahrelange Debatten wie die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft an Ihnen und offensichtlich weiteren Teilen der Grünen vorbeigegangen sind.

Kernbestandteile des Urheberrechts werden derzeit nicht nur von Netzaktivisten, sondern auch durch die von Google gesponserte Forschung bis hin zu EU Kommissarin Nelly Kroes in Frage gestellt.

*lol* Das ist die mit dem Guttenberg

Ursächlich für die sinkende Akzeptanz des Urheberrechts ist ferner ein übertriebenes Abmahnwesen, das gegen Endverbraucher in nicht zu rechtfertigender Weise vorgeht.

Immerhin muss man aber dankbar registrieren, dass Sie das von ACTA künftig noch besser geschützte Abmahnwesen hinterfragen. Das Abmahnunwesen ist in der Tat auch ein Grund für sinkende Akzeptanz. Diese verringerte Akzeptanz hängt aber vor allem damit zusammen, dass das Urheberrecht von einem Begriff des geistigen Eigentums geprägt ist, der ins 19. Jahrhundert passt.

Warum wohl wenden sich Urheber und selbst eine des Internetkommunismus sicher unverdächtige Institutionen wie Max-Planck-Institute vom Begriff des geistigen Eigentums ab? Weil dieser heute nicht den Urheber, sondern neben der Musikindustrie auch Verlage schützt, die sich ihre in tatsächlicher Kostenloskultur „erworbenen“ Veröffentlichungen von wiederum öffentlich finanzierten wissenschaftlicher Forschungsergebnisse gleich noch einmal von der Öffentlichkeit bezahlen lassen und damit Milliardengewinne erzielen.

Die Internetfreiheit der Anti-SOPA und Anti-ACTA-Kampagne sind einerseits zu recht gerichtet gegen eine Netzsperreninfrastruktur, die über das Vorgehen gegen Urheberrechtsverletzungen auch politisch missbrauchbar und ausbeutbar wäre,

Richtig, Frau Trüpel. Wenn nur wieder das ABER nicht wäre:

aber andererseits verbirgt sich in Teilen der Netzcommunity auch ein sehr einseitiger Freiheitsbegriff. Es ist die Freiheit des Nutzers und der Nutzerin, die nicht bezahlen wollen,

Dummes Zeug, Frau Trüpel. Aber hatten wir ja schon.

von Internetfirmen und Internetserviceprovidern, die für die Inhalte, die sie brauchen, nicht (angemessen) bezahlen wollen.

Umgekehrt wird‘s richtig: Warum wäre bei Ihren Verwertern wohl ein kräftiges Heulen und Zähneklappern, wenn Google und andere (gerne wie beim SOPA-Protest) den Zugang zu Ihrer Contentmafia nur für einen Tag sperrten?

Hinter der Kampagne für die Abschwächung des Urheberrechts stecken starke kommerzielle Interessen der neuen Internetfirmen wie Google und Facebook und beileibe nicht nur politische Freiheitsrechte.

Zu Hülfe! Verschwörung der ACTA-Gegner! Es ist geradezu bizarr, dass bei Ihnen kommerzielle Interessen in dieser Einseitigkeit bestenfalls auf der anderen Seite ein Problem darstellen. Doch im Umkehrschluss wird es interessanter: Wenn sich durch ACTA vermeintlich nichts ändert: Was hätte das dann mit Ihrem offensichtlichen Problem mit Google und Facebook zu tun? Und mit Verlaub: Mit dem Zugang zu Informationen hat Google für Demokratie und Freiheit in vielen Teilen der Welt bislang einen bedeutenderen Beitrag geleistet als europäisches Parlament und Europarat zusammen.

Wenn Megaupload von der Staatsanwaltschaft geschlossen wird, wird das von der grünen französischen Präsidentschaftskandidatin Eva Joly als Zensur kritisiert. Aber ist es politische Zensur, wenn ein illegales Geschäft erst einmal gestoppt wird? Ist das nicht eher der rechtsstaatliche Ansatz, gegen Rechtsbrüche vorzugehen? Gegen politische Zensur muss man eintreten, in China, in Iran, bei uns, aber wenn das Grundrecht des Urheberschutzes

Unglaublich! Urheberschutz als Grundrecht? Menschenrechtsverletzungen in einem Zusammenhang mit dem Urheberrecht? Diesen Unfug habe ich bislang einmalig gehört. Von Herrn Heveling. Und ist mir etwas entgangen? Wurde Megaupload nicht auch schon vor ACTA gestoppt (wenngleich mit rechtsstaatlich fragwürdigen Methoden)?

…angegriffen wird, muss es doch zu einer Güterabwägung zwischen der Informationsfreiheit des Netzes und dem Urheberschutz kommen. Es kann nicht sein, dass Datenschutz im Netz per se den Urheberschutz aushebelt.

Wo hebelt Datenschutz den Urheberschutz aus? Rechtlich legal wie gleichfalls fragwürdig sichern sich Verwerter und Abmahner IP-Adressen und verfolgen Nutzer. Ohne jeglichen Datenschutz.

Wer gegen ACTA ist, muss neue Antworten finden, wie Internet Piraterie verhindert werden soll.

Nochmals: Internet Piraterie ist heute schon erfolgreich zu verhindern. Insofern ist Ihr Megaploud Beispiel ein hervorrragendes Argument gegen ACTA. Kriminelle können HEUTE schon gestoppt werden. Fragwürdige wie http://kino.to/ ebenfalls.

Es ist richtig, dass es keine Internetsperren geben darf, dass Netzneutralität verteidigt wird, dass Verwertungsgesellschaften transparenter gemacht werden müssen,

…wenigstens was, aber schon wieder kommt ein trüpelsches ABER

….aber ein Freiheitsbegriff des Netzes, der ohne Verantwortung und Nachhaltigkeit gedacht ist, ist ein falscher Freiheitsbegriff. Es wird mittelfristig nicht mehr so viel kulturelle Vielfalt geben, es wird weniger professionelle Kreative geben, wenn es keinen Urheberschutz mehr geben sollte.

Es ist Ihrerseits nicht einmal die halbe Wahrheit oder bestenfalls auf grober Unkenntnis beruhender Unfug den Sie hier weiter zum Thema Internetpiraterie vortragen.

Für den Konsum digitaler Inhalte wird vielfältigst bezahlt. Übrigens selbst via Apple, um ein weiteres übles us-amerikanisches Unternehmen zu erwähnen. Peinlich ist nur, dass dies anderen nicht eingefallen ist. Es gab keine Geschäftsmodelle. Und deshalb gab es Notwehr im Netz und Eigenhilfe bis hin zu Tauschbörsen.

Durch Bezahlung der Kreativen zu mehr kultureller Vielfalt beizutragen, ist eine nachhaltige, wertebasierte Orientierung für die Welt der digitalen Kulturmärkte, frei nach dem Motto „Credit the creators“.

Dann hören Sie doch endlich auf, vom Urheberrecht zu reden, sondern kümmern Sie sich europäisch um ein Urhebervertragsrecht zugunsten der Urheber. Die Kostenloskultur findet dort statt, wo Ihre Contentfreunde die Urheber auch außerhalb des Internets nicht anständig entlohnen.

Und auch darüber könnten wir reden. Wie wir zu einem modernen Urheberrecht kommen, das die Urheber schützt und friedliche Nutzer nicht weiter kriminalisiert. Deshalb will ich Veränderungen. Und genau deshalb will ich ACTA nicht. Weil ACTA am analogen Recht festhält, freie Informationen verhindert, eine moderne Wissensgesellschaft künftig noch mehr blockiert und Nutzer weiter kriminalisiert. Aber da Lesen bildet, empfehle ich Ihnen, das Abkommen und neue Richtlinienüberlegungen der EU auch ansonsten nachzulesen.

Denn was Sie interessieren dürfte : Nicht nur die Musikindustrie, deren Interessen Sie in Wahrheit statt der Kreativen so vehement vertreten, ist für ACTA. Auch der Gen-Saat-Konzern Monsanto ist es. Wenn Sie schon vom Internet wenig zu verstehen scheinen und wahrscheinlich auch nur gucken, wäre das eventuell ein Punkt, der bei einer grünen Europabgeordneten wenigstens Nachdenkprozesse einleiten sollte.

Verschonen Sie uns bis dahin aber nicht nur beim Frühstück bitte mit weiteren Gastkommentaren in der Frankfurter Rundschau oder anderswo.

Viele Grüße Jörg Tauss

11 Gedanken zu „Das trübelsche Problem: Kopf Tisch Kopf Tisch

  1. Handtrainer

    Mein letzter Beitrag war nicht als Witz gemeint sondern es kann auch solche Produkte betreffen was ACTA betrifft.

  2. kar

    Zum Hinweis auf die geistige Nähe der Grünen zur NPD, es ist so, das die Grünen als Partei an einer neuen Position arbeiten, die man als Fuss in der Tür zu einer Wiederkehr des Paragrafen 175 – siehe http://de.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_175 – sehen muss! Immerhin geht es den Grünen bereits um eine verallgemeinernde Kriminalisierung von Dingen, die nachweislich unter dem Paragrafen 175 bis in das Jahr 1969 unter Strafe standen. Wollen Sie das an dieser Stelle in Abrede stellen? Im übrigen, das, worum es in dem Gesetzesentwurf wahrscheinlich gehen dürfte, ist bereits ein Straftatbestand. Es hängt letztendlich nur an der Umsetzung. Man sollte also direkter dafür Sorge tragen, das bestehende Gesetze auch angewandt werden. Das aber ist anscheinend nicht von den Grünen gewollt und insofern ist erkennbar zumindest ersichtlich, das es den Grünen um ein Revival des Paragrafen 175 unter neuen Schleuchen geht. Mein Prinzip an der Stelle ist ganz klar der Grundsatz „wehret den Anfängen“. Deswegen kann ich auch nur jedem davon abraten, (neben anderen konservativen Parteien) die Grünen zu wählen/unterstützen. Letztendlich weckt die Teilwiederherstellung dieses braunen Paragrafen konservative, ewiggestrige Vorstellungen einer Erweiterung in einem Stand von vor 1969.

  3. kar

    Sehr geehrter Herr Rupp, Sie stellen in Ihrem Kommentar die These auf, es handele sich bei Ausführungen v. Frau Helga Trüpel um eine Einzelmeinung. Das ist so nicht richtig. Es gibt in diesem Punkt eine Nähe der Grünen zur CDU/CSU (im übrigen gibt es zwischenzeitlich in anderen parteipolitischen Überlegungen Initiativen, die Berührungspunkte mit der NPD erkennen lassen). Wie schrieb in diesem Zusammenhang im letzten Jahr der Cicero treffend? „Grüne Politik bedeutet moralische Zwangsverordnung statt Einsatz für die Freiheit jedes einzelnen.“ Siehe http://www.cicero.de/berliner-republik/die-gruenen-nicht-liberal-sondern-stockkonservativ/42902

  4. Sven

    Sie hat ja nun auf der ACTA-Demo in Bremen einen Redeslot bekommen.

    Es war natürlich abgrundtief schlecht und sie hat genügend Pfiffe bekommen.
    Ihre gewollte PR ist schön nach hinten losgegangen – denn als sie anfing sind die meisten schon gegangen.

    Wer sich nicht an der Demo beteiligt und am Ende dann noch so einen Dünnschiss erzählt wie Frau Trüpel, der muss sich nicht wundern 😉

    Gruß aus Bremen
    Sven

    Anmerkung tauss: Netter Hinweis 😉

  5. Klobuerste

    Bei ACTA dürfen wir auch nicht mehr auf Klo. Denn kacka kann man auch kopieren. ACTA ist kacka. DAS SCHREIB ICH AUFS TRANSPARENT FÜR DIE DEMO!

  6. Pingback: Feuerwächter » Deutschland unterzeichnet ACTA vorerst nicht

  7. Bernd

    Das mit dem CC hast du falsch verstanden. Sie meint „wenn sie es nicht unterCC stellen ist es gegen Ihren willen wenn es kostenlos kopiert wird“

    Anmerkung Tauss: In der Tat könnte man es auch so lesen. Diese machte dann aber auch keinen Sinn, weil niemand gezwungen werden kann, seine „Werke“ kostenlos zur Verfügung zu stellen. Hiergegen könnte man sich mit den „normalen“ Mitteln des Urheberrechts wehren. Da Frau Trüpel meinen Text vorliegen hat kann sie ja ggf. eine Erläuterung liefern.

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